Infanta (German Edition)
ihrer Garderobe gelandet und konnte dort keinen Moment lang vergessen – ganz im Gegensatz zu Gussmann, den das Glück für eine Weile von sich selbst erlöste.
Der frühere Priester hatte auf seinem Lager gesessen, als Mayla plötzlich in der Tür gestanden war. Mayla, in robusten Hosen, mit neuer Frisur, kein Kind mehr und kein Mädchen, eine Frau, die etwas wollte. Gussmann sah sie an wie einen Menschen, von dem er viel gehört und häufig geträumt hatte und der nun leibhaftig zur Tür hereintrat. Er schob Zeitungen über Essensreste und bedeckte seine Wäsche, griff sich ins wirre Haar und traf auf Maylas Hand. »Father Wilhelm, ich will dich stören«, sagte sie.
Hellwach vor Freude, denn sie hatte ihn noch nie so genannt, und ergriffen, daß am Ende des Lebens nicht er, hinkend oder sonstwie, die Liebe eingeholt hatte, sondern sie ihn, drückte er ihre Hand; und mit dem Gedanken an seinen Husten, der ihn bei allen Anstrengungen befiel, und die Knochengestalt, die er war, bat er Mayla zu gehen. Aber sie ging nicht. Sie zog sich aus und legte sich neben ihn, sein Atem stand still. Wilhelm Gussmann betrachtete sie reglos, und Mayla erzählte von dem Abschiedsessen, von der Zufriedenheit, weil jetzt ein anderer sie besitze und nicht er, und verstummte. Gussmann bat sie weiterzureden – »Sprechen müssen wir, weil unsere Körper nicht zusammenkommen«, sagte er auf deutsch, und Mayla sah in ein Gesicht, über das die Schatten knabenhafter Ungeduld glitten, und tat, was der frühere Priester vor Jahren mit ihr getan hatte, sie nahm ihn gebieterisch mit sich. Sie ließ ihn seine hohlen Schenkel und krummen Zehen vergessen, seinen drohenden Husten und die welke Haut über brüchigen Knochen; auf einmal spürte er nur noch, daß er sie haben und halten konnte und Manns genug war, nicht mehr zu verlangen. Mayla breitete ihre ganze Schönheit für Gussmann aus, und er tauchte darin ein und küßte sie lange. Er küßte ihr feines schäumendes Haar, bis sie seinen Kopf an ihren Kopf zog und innerhalb einer Minute alles tat, um sein Leben zu krönen – für ihn fast eine Ewigkeit und die Erfüllung, für Mayla eine Zeile zwischen Beendetem und Neuem, ein namenloses Luftschöpfen außerhalb von Zeit und Gesetz, weder berauschend noch ernüchternd, notwendig nur; und der leise Vorwurf würde später lauten: Überflüssig .
Kurt Lukas mochte dieses Wort. Es wertete ein Abenteuer nicht zu sehr ab, nahm ihm nur jedes Gewicht und machte es ungeschehener. Natürlich war auch die Stunde mit Doña Elvira überflüssig. Unfähig, auch nur eine ihrer halbmütterlichen Zärtlichkeiten zu beantworten, lag er auf dem Rücken und ließ sie gewähren. Sie wandte das äußerste Mittel an, einen Mann zu erregen, vergebens; schließlich fragte sie ihn, woran er denke. Er dachte an Parkplätze. An die Parkplätze beim Stadio Flaminio, letztes Revier römischer Straßenhuren, Nymphen und Zwitter, die ins Auto zustiegen, um sich über den Schoß des Fahrers zu beugen. Trenta in bocca. »Geld«, sagte er, »ich denke an Geld«, und die Sängerin warf ihren Haarbusch in den Rücken. Für sich und ihn das Beste hoffend, holte sie aus ihrem Nachttisch ein Bündel Scheine und zählte. »Hier hast du hundertfünfzig Pesos, damit es dir leichter fällt«, sagte sie und stopfte den Beweis für das Unglaubliche, das folgte, in seine heruntergelassene Hose.
Das Unglaubliche. Gussmann bemerkte dazu, kaum klang es aus, »Du mußt es vergessen, so schnell es geht.« Und Mayla sammelte ihre Kleider vom Boden und zog sich im Sitzen an. »Ich werde sterben«, sagte Gussmann, »aber du mußt es vergessen. Vergiß diese Nacht.« Mayla kämmte sich. »Es war keine Nacht«, erwiderte sie. »Aber es wäre noch eine geworden. Wenn du stillgeblieben wärst. So war es nur ein Besuch.« Sie rauchte jetzt, während Gussmann sein Gesicht mit dem Bettlaken trocknete. »Dann vergiß diesen Besuch«, sagte er. »Morgen beginnt eine bessere Zeit. Die Wahl wird mit einer Revolution enden, was zählt da ein Besuch, der noch in die alte Zeit fiel.« Mayla nahm ihm das Laken weg. »Sei still«, bat sie, und er streichelte ihr den Hals, während sie ihm über Augen und Mund strich. Danach trennten sie sich wortlos.
Mayla machte sich auf den Heimweg. Sie wäre gern länger bei ihm gelegen – um sich noch weiter zu lösen von seiner Übermacht, von ihrer Unschuld, von der Station, von allem, was sie hinderte zu lieben. Ein großer Hund folgte ihr bis vor die Hütte, wo
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