Infanta (German Edition)
Hauptmann bog in einen Weg, der auf einen Platz mit Eßständen zulief. Lichter brannten, Tiere brüllten. Unter Blechdächern wurde geschlachtet. An Ketten hängend, bluteten zuckende Rinder aus. Schweine wälzten sich nach einem Hieb zwischen die Augen. Aus Kälbern flossen Därme. Männer zerrten ein schnaubendes Pferd. Eisblöcke dampften. Es roch nach Kesselfleisch und Kaffee. Frauen bedienten in blutigen Schürzen. Sie winkten Kurt Lukas zu, und er winkte zurück. Narciso legte ihm eine Hand auf den Arm. »Es ist der einzige Ort, an dem wir ein anständiges Frühstück bekommen.« Noch im Fahren rief er Bestellungen zu und brachte eine ganze Familie auf Trab, parkte dann auf roter Erde und wählte einen Tisch mit Aussicht. »Betrachten Sie sich als mein Gast. Und seien Sie sicher – man serviert Ihnen hier die Eier, die Sie vertragen.« Der Polizeichef legte sein Funkgerät griffbereit; etwas Unwiderstehliches umgab ihn an diesem Morgen des Wahltags. »Und worüber unterhält man sich auf der Station?« fragte er.
»Über die Liebe.«
»Wie es sich für Priester gehört. Und was erzählen sich die fünf über Gregorio?«
»Nichts. Ich glaube, es gibt diesen Mann gar nicht.«
»Es gibt ihn.«
»Und wie ist er?«
»Dürr, untadelig und um die Achtzig. Er müßte jedoch um die Hundert sein, wenn man die Geschichten über ihn zusammenzählte. Und wie alle Glaubhaften ist er gefährlich.«
Ein Junge trat an den Tisch. Er kam mit einer Fotokopie der Anzeige und bat um ein Autogramm. Narciso lieh seinen Kugelschreiber. Seit gestern abend seien diese Kopien im Handel, sagte er. Der Fotograf Adaza habe sie angefertigt und verkaufe sie für vier Pesos das Stück. Ein Geschäft. Kurt Lukas erkannte sich kaum; aber er begriff jetzt, wofür die vier Münzen bestimmt waren.
Der Hauptmann schickte den Jungen nach einer Zeitung. Zwei Frauen brachten das Frühstück. Rühreier, Schinken, Toast, Butter, Kaffee, Milchpulver, kleine Würste und Soßen. Ein Mädchen vertrieb Fliegen und Hunde. Der erste Sonnenstrahl schoß über die Blechdächer. Narciso sprach über die Pracht der Natur und das Kleine der Menschen. »Dazwischen stehen die Schönheitssalons«, sagte er und erwähnte Cooper-Gomez, der immer mehr Zulauf habe. »Sogar Mayla war bei ihm, wie ich erfuhr. Die anderen Friseure öffnen noch Furunkel und beheben Phimosen. Gomez verwandelt nur. Ein Lichtblick im Ort.« Er reichte seinem Gast den Zucker. Beide schätzten süßen Kaffee; beide verdammten das Milchpulver. Sie kamen auf ästhetische Fragen. Der Reiz von Gegensätzen, gut Angezogensein in verkommener Umgebung oder, noch interessanter, umgekehrt.
Der Junge brachte die Zeitung. In den Gewässern vor der Insel war eine Fähre gesunken. »Man muß immer abraten, unsere Fähren zu benutzen«, sagte Narciso. »Von allen Seiten kommen schlechte Auskünfte. Die Kapitäne sind Trinker und Spieler, die Matrosen entlassene Sträflinge. Besser, man nimmt ein Flugzeug. Sofern ein Platz frei ist.« Er schilderte die angespannte Lage auf der Südinsel und erwähnte, daß er Doña Elvira nur mit Mühe ein Ticket in die Hauptstadt verschafft habe. Kurt Lukas bat um die Zeitung. Der Polizeichef ließ Zitronenwasser kommen. »Lesen Sie lieber, was dort über die Wahl steht. Zukunft des Landes entscheidet sich heute. Also vielleicht auch Ihre Zukunft.« Narciso wusch sich die Hände und zahlte; während ihn ein Funkspruch erreichte, gab sein Gast Autogramme.
Mehr und mehr Fotokopien der Anzeige tauchten auf, und Kurt Lukas unterschrieb nur noch mit Kringeln. Narciso erlöste ihn schließlich. Der Schriftsteller und er müßten aufbrechen, in einem abgelegenen Wahllokal seien Schüsse gefallen. Er verschwieg einen Toten und eine Schwerverletzte; jede Hilfe für sie käme zu spät, hatte ihm Romulus leise gemeldet. »Wir werden uns das anschauen«, sagte der Hauptmann. »Nur müssen Sie ein Hemd tragen, um nicht zu verbrennen.« Narciso rief den Umstehenden etwas zu, und schon boten sie ihre Hemden an, zum Kauf oder leihweise, für einen Tag oder länger; sie zeigten Schnitt und Größe, wiesen auf Markennamen hin und führten die Festigkeit der Knöpfe vor. Zwei Frauen hoben Kurt Lukas’ Arme und streiften ihm eine Art Bluse über, ein himmelblaues Stück mit lappigem Kragen, und der Polizeichef lotste den Kostümierten zum Jeep. Unter Beifall und Pfiffen brausten sie davon.
Die Fahrt endete vor einer Zwergschule, in der das Wahllokal war, vor einer Blutlache, die ein
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