Infanta (German Edition)
sie von Hazel erfahren sollte, daß er sie gesucht habe und danach zu Gussmann gelaufen sei. Von der Bude kam noch Musik, ein Lied, das sie immer geärgert hatte – über diese Stadt, die nie schläft, wie es da hieß, ein Lied, das auf alle Orte herabsah, in denen man abends zu Bett ging. Aber heute gefiel es ihr; und schon fast im reinen mit sich, gestattete sie dem Hund, an ihren Knien zu schnuppern.
New York New York, das mußte Doña Elvira nach einem zaghaften Beischlaf heraustrompeten, während Kurt Lukas, nun schon mit hundertsechsundsiebzig Pesos in der Tasche, über den Steilpfad rutschte, auf dem Gussmann ihn damals eingeholt hatte. Er dachte ohne Wut an ihn. Wütend war er nur auf sich. Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Sein Hemd blieb hängen, schon war er es los. Halbnackt erreichte er den Weg am Fuß des Hügels. Rechts halten, der Stille entgegen. Er schaute zum Himmel. Weite Räume lagen zwischen einzelnen Sternen. Das Wolkentuch war aufgerissen, der Mond verschwunden, und doch erkannte er den Weg; immer wieder leuchtete es entlang der Waldkuppen, und er sah zerzauste Palmen und in der Ferne die Terrassenkronen riesiger Falcatabäume. Kaum war das Leuchten vorbei, glaubte er aus jeder Richtung Gegrolle zu hören, als sei Infanta umgeben von Horden, die nur darauf warteten, bis alles schlief. Er stürzte über etwas Weiches und sah einen Leib.
Die Frau im Schmutz. Sie schien sich nicht vom Fleck gerührt zu haben seit jener Nacht. Das Haar war ihr zu Borsten nachgewachsen; heller noch und voller als bei der ersten Begegnung ragten die Brustspitzen aus der Kruste um ihren Körper, und der Bauch war inzwischen geschwollen. Kurt Lukas konnte es kaum glauben – sie erwartete wirklich ein Kind, und in ihrem Schoß lag wieder das Messer. Er starrte darauf, bis sie es in die Hand nahm und die Klinge in den Griff schob. Sie hielt das Messer in die Höhe und zeigte ihm, wie die Klinge durch rasches Senken des Griffs hervorflog und mit einem Ton der Bereitschaft einrastete. Danach rückte sie etwas, und er setzte sich zu ihr.
Die Frau entzündete ein Streichholz und zeigte ihm ihre Bleibe, einen Lastwagenreifen, halb von Farnen überdeckt. Mit einem zweiten Streichholz leuchtete sie in den Hohlraum. Papiere lagen dort, beschriftet mit Zahlenkolonnen, Losnummern vielleicht, und er sah ein paar Münzen. Mit dem dritten Streichholz steckte sie sich einen Zigarettenstummel an und rauchte. Plötzlich stieß sie einen leisen Schrei aus und deutete auf seinen Mund, und er sagte ja. »Ja, das war ich.« Die Frau öffnete ihre Arme wie die Gans ihre Flügel und lachte. Dann nahm sie seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. Er spürte einen Anflug aus dem Inneren und wollte die Hand wegziehen, doch ließ sie liegen, weil sie dort lag. Kurt Lukas schloß die Augen; zum ersten Mal gewann der Gedanke, er könnte, zurückgekehrt in sein altes Leben, dort nicht mehr anknüpfen, Gestalt in ihm. Und hier? dachte er. Auch wenn die Insel noch so groß war, erschien sie ihm nicht einmal als Welt am Rande der Welt. Dampfende Wildnis war sie, mit ein paar Orten unter atemberaubenden Sternen oder wütender Sonne. Und im Nabel dieser vergessenen Insel mit ihrem vergessenen Krieg, wie es in dem Heft mit der Anzeige hieß, lag er nachts auf bloßer Erde, eine Hand auf einer rußbedeckten Schwangeren. Er wollte aufstehen, aber rührte sich nicht und schlief ein. Später hörte er eine Grille und wußte nicht, wo er war, und dachte an Horgans Worte, Ich kann noch dasein . . . und schlief auch schon wieder, während die Schwangere neben ihm rauchte, vier Stunden vor Öffnung der Wahllokale.
A ls Kurt Lukas erwachte, lagen das Messer und vier Münzen in seinem Schoß. Er blinzelte in ein Licht. »Ich bin es, Homobono Narciso« – der Polizeichef stand an seinen Jeep gelehnt –, »fast hätte ich Sie überfahren. Sie liegen unglücklich da.« Er half Kurt Lukas auf die Beine, Messer und Münzen fielen herunter, Narciso hob sie auf. »Geld und Waffen sollte man nicht offen herumtragen. Sie überstehen diesen Tag am besten, wenn Sie mitkommen.«
Und Kurt Lukas stieg in den Jeep. Wo war die Frau im Schmutz geblieben; wofür hatte sie ihm ihr Messer gegeben, wofür das Geld, vier Pesos. Warum hatte er kein Hemd an. Er dachte nach, und der ganze Abend fiel ihm ein. Wie gut, daß die Nacht vorüber war, wie gut, jetzt gefahren zu werden. Er hielt das Gesicht in den taufeuchten Wind. Sie fuhren an der Hahnenkampfarena vorbei, und der
Weitere Kostenlose Bücher