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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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abwesend. Und ich habe bei meiner Arbeit stets den Erfolg gesucht, so wie die übrigen. Wir waren ja nie Missionare, die auf kleinen Eseln dahinschaukeln.« Der Superior lachte. Dann wünschte er eine angenehme Nacht und drehte sich zur Seite. Kurt Lukas stand auf.
    Gehen wollte er, aber wohin. Der Gemeinschaftsraum war ihm zu einsam, seine Kammer zu stickig. Die Bude hatte am Wahltag geschlossen, Gussmanns Laden schied aus. Nun hatte er Angst. Er sah nach Pacquin. Pacquin schien zu schlafen. Er ging auf und ab.
    Eine Angst war das, die er kannte; die nach einem langen August ohne Arbeit – nach Wochen mit zuviel Sonne, zuviel Musik, zuviel Schlaf, zu vielen Körpern, zu vielen Abschieden – eines Morgens, wenn ihn auf das große römische Sommergewitter hin eine abgekühlte, modrige Luft empfing und das azurne Licht fehlte, als plötzliche Todesgewißheit auftrat. Er ging zu Pacquin. Pacquin atmete. Er trat an die Brüstung, er roch Zigarettenrauch. Er spürte ihre Nähe, er rührte sich nicht. Warum war sie gekommen? Um noch einmal die Alten mit ihren Namen zu wecken, Frieden zu schließen; vielleicht. Mayla trat neben ihn, er sah ihr Gesicht. Oval, ohne Schwere. Feste Augen, nicht zu groß. Schmale Nase, weiche Flügel. Ober- und Unterlippe fast symmetrisch. Pistazienfarben. Und wieder glattes Seidenhaar, freie Schläfen, freie Ohren. Nach wie vor das Gesicht, für das er alles hinwerfen würde. Jedes Zuviel.
    »Was ist mit deinem Finger?« fragte sie.
    »Nichts.«
    Noch immer log er leicht, aber weniger gut. Mayla küßte ihn rasch auf den Mund. Er wollte sie an sich ziehen, aber da wich sie schon einen Schritt zurück und sagte, »Was war nur zwischen dir und mir«, und entfernte sich langsam, während er an der Brüstung stehenblieb.

I nfanta am Tag nach der Wahl. Gerüchte. Erfundenes klang glaubhaft und Wahres phantastisch. Wo die einen Hinweise auf bessere Zeiten sahen, sahen die anderen Menetekel des Niedergangs. Und immer wieder sprach man von dem herausgerissenen Herzen bei lebendigem Leib; viele zog es zum Tatort. Der Blutfleck zwischen den Bankreihen erinnere an den Umriß der Insel, hieß es. Zwischendurch sprach man über entwendete Urnen, die später mit neuen Stimmzetteln wieder aufgetaucht waren, oder die lange Prozedur des Auszählens. Doch es gab noch mehr Gesprächsstoff.
    In den fünfzehn Schönheitssalons tuschelte und kicherte man unermüdlich über Mister Kurt mit der blauen Bluse . Er liebe Mayla und schlafe mit Doña Elvira, Hazel und Flores, tue es notfalls auch mit Gänsen, trinke schon tagsüber Rotwein und sei im übrigen, wie Cooper-Gomez erzählte, nicht mehr die einzige Prominenz im Ort. Der Friseur gab damit an, er habe John D. Singlaub am gestrigen Abend persönlich die Haare geschoren; der Ex-General habe, gegen seinen Rat, auf Militärschnitt bestanden. Niemand glaubte Cooper-Gomez. Auch ein Gedonner rund um den Talkessel, es begann gegen Mittag, half ihm da nicht. Nur Eingeweihte wie Narciso wußten, daß es sich um eine Serie von Sprengungen handelte; auf seiner angeblichen Schatzsuche war es Singlaub und einem Trupp aus Vietnam-Veteranen bisher nur gelungen, die Landschaft zu verändern. Sprengungen im Gelände machten ihm Spaß, und so wunderte sich halb Infanta an diesem freundlichen Tag über Gewitter hinter den Waldkuppen; die anderen hielten das Gedonner für ein sicheres Vorzeichen von Putsch und Umsturz im Land.
    Kurt Lukas verwechselte es sogar mit Motorengebrumm. Er wartete vor der Station auf Narciso. Sein Gepäck lag schon im Flur. Keiner der Alten ließ sich blicken. Das Frühstück war entfallen. Gegen acht Uhr hatte er den Jeep gehört. In den Beeten fehlte Pacquin, auf der Veranda fehlte Horgan. Auch West-Virginia hatte sich verkrochen; fremde Hunde umschlichen das Haus. Er konnte nichts tun. Alles um ihn herum – der Sendemast, der grelle Kies, die Tulpenbäume, das hohe Gras, Beete und Blumen, die leere Veranda – erschien ihm so nutzlos wie er selbst. Er stand in der Sonne, spürte den Schnitt im Daumen und sah auf seinen winzigen Schatten.
    »Haben Sie etwas Zeit, Mister Kurt?«
    Dalla Rosa winkte mit einem Büchsenöffner und einer aufgestochenen Konserve. Sein weißes Hemd war mit Tomatenmark bespritzt. Noch weigerte er sich, eine Schürze zu tragen; jeder Zwangsdienst begann mit Einkleidung. Trotzdem war er zu kochen bereit. Allerdings kein Mittagessen. Was er vorhatte, dauerte Stunden; am Abend sollte es Ossobuco geben. Das halbe Dutzend

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