Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
Vom Netzwerk:
ihr Erstarren in ungläubigem Staunen, was McEllis später nicht beschreiben konnte, weil es ihn mitbetraf. So übersah er, wie sich auf Butterworth’ Kopf der letzte Flaum aufstellte; wie Dalla Rosas Auge für Momente geheilt war; wie Horgan hinter den Händen ein Lächeln verbarg; wie der Gast so tat, als sei er nicht da. »Sie wären sonst vor unserer Tür gestanden«, erklärte McEllis. »Außerdem haben sie noch nicht zu Abend gegessen.« Doña Elvira nickte ihm zu, ehe sie, von impresariohaften Gesten Narcisos ermutigt, mitten in den Raum trat. Dort verneigte sie sich wie vor dankbarem Publikum, schob ihr offenes Haar hinter die Schultern, wo es sich knisternd entlud, legte den Kopf in den Nacken und nahm den Geruch der Markknochen auf. »Es fehlen nur zwei Gedecke und ein Stuhl«, bemerkte der Superior nach der Begrüßung; »denn das Essen ist, wie jede Menge, beliebig teilbar.«
    Und mit dieser barmherzigen Formel begann der gemeinsame Abend, den Butterworth in seinem Fortsetzungsbrief später singulär nannte. »Der Hauptmann und unsere Gebieterin über das Nächtliche – vibrierend, duftend und spendabel mit Reizen – setzten sich also zu uns an den Tisch, und wir hörten von Narciso, Elvira Pelaez sei unterwegs in die Hauptstadt, um im Mabini Palast ein Engagement anzutreten, worauf Unsicherheit entstand, ob man sie bedauern solle oder ihr zu gratulieren habe. Sie bemerkte unser Zögern und bewies Takt, indem sie das Thema wechselte und sich für die Einladung bedankte. Es sei ihr eine Ehre, erklärte sie, mit den berühmten Alten an einem Tisch zu sitzen. Wir kannten diesen Ausdruck noch nicht und waren etwas sprachlos, und daraufhin hätte man essen können, wenn sie nicht zur Bekräftigung ihres Danks, nach kurzem Getuschel mit Pacquin, aufgestanden wäre – um zu singen, Du wirst es nicht glauben. Schon mit den ersten Tönen lockte sie West-Virginia aus der Küche, und bald hörte man das Fiepen anderer Hunde vor dem Haus. Sie sang, bei ruhiger Körperhaltung, einen Schlager der Beatles, wie mir Mister Kurt ins Ohr flüsterte, Wenn ich vierundsechzig bin, und eine gewisse Rührung über das versteckte Kompliment an fünf Greise führte wohl dazu, daß Dalla Rosas Essen noch weiter unbeachtet blieb, bis er uns zu verstehen gab, daß wir von nun an verhungern könnten. Natürlich füllten wir uns dann alle die Teller, fragten nach dem Rezept und redeten über den Einfluß der Kochkunst auf den Alltag, bis Dalla Rosa, innerlich so erregt, daß sein sonst tadelloses Englisch fehlerhaft wurde, mit den Worten aufstand, erörterte Lebensformen verlören jedes Gewicht, dieses Abendessen sei für ihn beendet. Damit war es auch für uns beendet. Leeren Magens sahen wir zu, wie die unerwarteten Gäste sich sättigten, stumm und methodisch. Mit einem Geräusch, das ich nicht vergleichen möchte, schlürfte die Sängerin zuletzt noch den Markknochen aus. Während McEllis Bourbon einschenkte, fragte ich sie, ob denn ihr Etablissement in nächster Zeit geschlossen sei, und sie sah auf ihre goldene Uhr. In zwei Minuten beginne das provisorische Programm! An dieser Stelle schaltete sich Horgan ein und hauchte, er werde ihre Stimme vermissen, worauf ihr Dalla Rosa, schon bei seinen Büchern und offenbar noch immer erregt, die Frage stellte, wie viele Stimmen denn das Komitee habe erwerben können.
    Die Sängerin stellte sich taub, und ich erwähnte, mit Blick auf den Hauptmann, wir hätten nicht nur für einen guten Wahlausgang gebetet, sondern auch für die Wahlbetrüger; das menschliche Einmaleins sage mir, daß Stimmenkäufer bald die Mehrheit des Volks gegen sich hätten wie alle Verbrecher. Schweigen. Ich hatte mich vergaloppiert. Jeden Moment konnte es unfreundlich werden. Doch da begann die Musik in der Bude, und eine politische Auseinandersetzung blieb uns erspart. Die Herrin über Hunderte von Phon bemerkte offenbar, daß die Gläser auf dem Tisch in eine feine Bewegung gerieten; denn plötzlich klagte sie über ihre Finanzlage, die es nicht erlaube, neue Lautsprecher zu kaufen. Nur des Honorars wegen fliege sie in die Hauptstadt. Jeden verdienten Dollar, rief sie, werde ich investieren. Und damit waren wir beim Geld. Ich habe keine Ahnung, was mich bewog, aber ich nahm Mister Kurt beiseite und bot ihm, falls er nur noch Schecks besitze, ein Notpolster an. Vielleicht siebzig Pesos, sagte ich leise, bis Sie auf eine Bank kommen, stand auf und holte das Geld. Er nahm es ohne ein Wort, und das heißt ja wohl,

Weitere Kostenlose Bücher