Infanta (German Edition)
Washington waren sie doch eigensinnig, was ihre amerikanische Staatsbürgerschaft betraf. Nur Dalla Rosa hatte sich einbürgern lassen, und so waren er und Pacquin die beiden Wähler der Station. Butterworth brachte sie am frühen Nachmittag mit dem Jeep zur nächstgelegenen Schule, während McEllis die Gans unter den Nachbarskindern verteilte, bis auf Herz und Nierchen.
Horgan blieb allein. An Stelle des Buchs lag ein Kreuz in seinem Schoß. Es zählte zum Inventar der Terrasse und ging von Hand zu Hand, wenn sie hier saßen. Zwischen seinen Schenkeln stand eine Schüssel. Er hatte um die Feigenfüllung gebeten; Frühstück und Mittagessen waren karg ausgefallen. Erst nach dem Wochenende konnten sie mit Flores rechnen. Solange kochte Dalla Rosa. Offenbar ungern. Jedenfalls war ihm der Milchbrei mißlungen. Eine fade Brühe. Horgan hielt sich an die biblische Frucht und kaute in Ruhe; neben dem Pavillon war die abgeschiedene Terrasse sein Lieblingsort. Jede Stunde hatte hier ihr unverwechselbares Licht. Manchmal wußte er bei geschlossenen Augen, wie spät es war. Kurz nach drei im Moment. Also war die Wahl vorüber. Nur bis drei Uhr durfte man die Stimme abgeben, damit keine Urnen im Dunkeln transportiert werden mußten. Ein denkwürdiger Tag. Aber das Einzigartige daran war nicht die Wahl, sondern die Stille hinter der Durchreiche. Es war der erste Tag ohne Mayla. Sie hatten kein Wort darüber verloren; während des ganzen Vormittags war ihr Name nicht gefallen. Auch die Rede von Butterworth hatte niemand erwähnt. Sie hatten über die Wahl gesprochen. Über die Chancen einer Revolution. Aber keinen hatte dieses Thema interessiert. Horgan wußte das, denn er war unbeteiligt dabeigesessen. Jedesmal wenn es Revolution geheißen hatte, hätte es Mayla heißen müssen. Hundertmal Mayla. So war das. Er hörte den Jeep. Doch niemand erschien; Dalla Rosa, Butterworth und Pacquin gingen sofort in die Kammern. Das Anstehen vor dem Wahllokal hatte sie vermutlich erschöpft. Aber weshalb legte sich Butterworth hin? Notierte er wieder? Er schreibe wohl an einem Brief-Roman, so McEllis. Horgan bezweifelte das. Er kannte Butterworth, er kannte ihn noch aus Amerika. Ein bleicher Spund, der sich mit jedem Literaten angelegt hatte und, immun gegen alles Pulsierende, durch das New York des großen Swing gegeistert war. Butterworth gab vielleicht vor, einen Brief zu schreiben. Aber peilte einen Roman an – Horgan fühlte das und hatte bereits einen Schritt unternommen, um sich Gewißheit zu verschaffen; sehr geschickt: Butterworth gebeten, ihm etwas diktieren zu dürfen. Ein paar Gedanken zu Mister Kurt. Gedanken, die er während der Abendunterhaltung nicht vorbringen könne, weil er zu müde sei. Konkurrenz also. Butterworth hatte Farbe bekommen, Flecken am Hals. Und Horgan grübelte noch über den Inhalt dieser Gedanken – oder war es etwa keine Gelegenheit, den bleichen Bruder endlich letzte Vorbehalte des Geistesmenschen gegenüber ihm, dem sportlichen Menschen, begraben zu lassen? Sein im Rollstuhl Sitzen seit Jahren hatte auf den Guten keinen Eindruck gemacht. Er, Horgan, blieb der Mann mit dem knallenden Aufschlag, während sich Butterworth als Intellektuellen der Station betrachtete; den Jeep fuhr er nur, um auch als Tatmensch zu gelten. Der kranke Priester nahm sich noch eine Feige. Nachdem er sie lange gekaut und in kleinen Portionen geschluckt hatte, hörte er Schritte. Der Gast hatte auf die Terrasse gefunden.
Kurt Lukas setzte sich neben Horgan und sah in den Garten. Auf den Bananenblättern schimmerten Pfützen. Bevor Narciso ihn abgesetzt hatte, war ein Regen niedergegangen. Über dem Tal schwebten noch Schleier, und die Berge trugen Wolkenhüte, die zur Sonne hin ausfransten. Ein Gegenstand fiel ihm in die Hände. Das Kreuz. Er nahm es von einer Hand in die andere, sah nach, wo vorn und hinten war, stellte es auf den Kopf und wollte es loswerden. Der Priester berührte ihn sachte – »Darf ich Ihnen eine Feige anbieten?« Und Kurt Lukas legte das Kreuz auf die Brüstung und sah Horgans Erstaunen über das himmelblaue Hemd. »Es gehört mir nicht, Father.« Er zog es aus und suchte nach einer Erklärung, aber Horgan sprach schon von etwas anderem.
»Nur wenige unserer Gäste haben bisher auf diese Terrasse gefunden – aber merkwürdig, ich habe heute mit Ihnen gerechnet, Mister Kurt. Bitte bedienen Sie sich, die Feigen schmecken angenehm nach Schmalz.« Horgans Stimme wurde schwächer; Kurt Lukas bediente sich.
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