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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Haxenscheiben hatte Butterworth günstig am Schlachtplatz bekommen, dazu gratis die Geschichte von Mister Kurts Travestie, wie er sich ausdrückte.
    »Wenn Sie mir diese Konserve öffnen würden«, sagte Dalla Rosa und schloß hinter Kurt Lukas die Küchentür. Wie elend ihr Gast aussah – verständlicherweise –, Butterworth hatte alle Erklärungen dafür mitgebracht. Er wußte sogar zu berichten, daß der Polizeichef vorbeikäme, um seinen Augenzeugen abzuholen. Sie konnten sich das kaum erklären, wie denn ihr etwas träger Mister Kurt an diesem Wahltagmorgen an Narciso geraten und dadurch Zeuge der grauenvollen Tat geworden war. Die vorletzte Nacht hatte ihn vermutlich aus der Bahn geworfen. Dalla Rosa wendete die Haxenscheiben in Mehl. Leider fehlte trockener Wein. Aber etwas fehlte ja immer. Er rieb eine Zitronenschale und hackte Knoblauchzehen und Petersilie. Wenigstens hatte die Gremolata ihre Zutaten. Das Rezept war ihm im Schlaf erschienen.
    »Kochen Sie auch?«
    Kurt Lukas reichte die geöffnete Büchse.
    »Nur wenn es sein muß, Father. Eigentlich nie.« Dalla Rosa hob das Mark unter geschälte Tomaten, salzte und pfefferte das Fleisch und platzte dann mit allem, was ihn bewegte, heraus. Er sprach von einem verheerenden Abschiedsabend und einer veränderten Mayla, sprach, ohne Luft zu holen, von dem herausgerissenen Herzen und dem Wahnsinn, der im Inneren der Insel immer noch herrsche, von seinen ruhelosen Nächten und der Einsamkeit auf der Terrasse, vom Wahlbetrug und einer gepackten Tasche im Flur. »Sie verlassen uns also.« Sein Wanderauge verengte sich –
    »Per sempre, Signore Kurt?«
    »Possibile, padre.«
    »Peccato, mio ragazzo.«
    Der Priester hielt ihm die Tür auf. »Bis heute abend«, sagte er, »bis zu unserem zweiten Abschiedsessen.« Dalla Rosa schloß von innen ab und machte sich ans Kochen. Er hackte, rieb und mörserte, bestrich und nahm kleine Proben, füllte um und briet an, schwenkte und maß Temperaturen und sprach dabei mit sich selbst, war wieder ganz der stille Knabe aus Triest, versunken in chemische Experimente, um neunzehnhundertzwanzig. Es wurde dunkel, und Dalla Rosa befand sich immer noch in Italien, löschte sein Ossobuco mit Wasser ab und glaubte, es sei Wein aus Friaul.
    Am späten Abend, nach einem weiteren verunglückten Essen, sprach er mit Butterworth über seine jüngsten, wie aus Grundschlamm aufgestiegenen Erinnerungsbläschen. Die beiden schritten über die Terrasse. Sie hofften auf Wind, während Horgan und Pacquin den Schlaf herbeisehnten und McEllis in seiner Kammer notierte. Die Station hatte unerwartete Gäste gehabt.
    »Mister Kurt glaubte wohl schon selbst nicht mehr, er werde an diesem Tag noch abgeholt, um uns und Infanta zu verlassen, da hörten wir die unerträglichste Hupe des Ortes«, schrieb McEllis auf einen neuen Zettel. »Und dabei hatte der Abend gar nicht unangenehm begonnen. Wir saßen um den Tisch, tranken Bier und äußerten uns zu einer Zahnbürste, die unser Gast in der Kammer vergessen hatte. Wie kein anderer Gegenstand, bemerkte ich, markiere eine Zahnbürste Ankunft und Abschied. Niemand widersprach dieser Ansicht, selbst Butterworth stimmte zu. Er wollte allerdings wissen, ob eine Zahnbürste nicht als kleines Gepäck ausreiche; oder sei für die Aussage vor den Behörden in Cagayan ein längerer Aufenthalt erforderlich? Mister Kurt antwortete mit seinem Lieblingssatz: Das weiß ich nicht. Aber auf jeden Fall gehe ich danach noch ans Meer. Ich werde schon wiederkommen. – Seltsam, aber ich glaubte ihm; entdeckte übrigens zwei graue Haare in seinem Nacken. Dalla Rosa gab dann Zeichen, das Fleisch brauche noch, und einer nach dem anderen machte sich auf seinen Weg durch den Raum. Nur Mister Kurt blieb sitzen. Er nahm die Hände vor den Mund und sah auf alles, als sei er eben erst angekommen.« Mit Kinderaugen, wollte McEllis hinzufügen, aber war zu erschöpft. Seine Kräfte ließen nach, es ging ihm nicht besser als den anderen – die letzten Tage und Nächte lasteten wie eine ganze Regenzeit auf den fünfen. Alle waren an dem Abend müde gewesen, nur der scheidende Gast nicht.
    Überzeugt, daß der Tod sie nicht einholen könne, solange sie in leichter Bewegung seien, hatten sich die Alten vor dem neuerlichen Abschied fast abergläubisch an ihre Routen gehalten. Wie Monde in Menschengestalt zogen sie ihre Bahnen um den Zuschauer am Tisch. Dalla Rosa schaute dabei in ein abonniertes Magazin, National Geographic. Butterworth schob

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