Infantizid
er mied aber Kontakte und blieb am liebsten für sich allein.
Dann geschah das Unerwartete. Drei Jahre nach Eckberts Adoption wurde Gisela schwanger. Man hatte keine Erklärung dafür, dass sie nun doch Kinder bekommen konnte. Sie gebar ein Mädchen, das ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war. Es hatte kleine, runde Schweinsäuglein und wenn es lachte, sah man nichts weiter als die Nasenlöcher. Eckberts Leben änderte sich in dramatischer Weise. Sie beachteten ihn kaum noch, er wurde nur noch geduldet. Erwin hatte sich sogar heimlich erkundigt, ob eine Adoption wieder rückgängig gemacht werden konnte.
Sie stellten ihm sein Essen hin, gaben ihm Sachen zum Anziehen und schickten ihn meistens auf sein Zimmer. Wenn er seine Zensuren zur Unterschrift vorlegen musste, unterschrieben sie kommentarlos. Kein Wort der Anerkennung. Gespräche, die einen heranwachsenden Jugendlichen interessierten, beispielsweise über FuÃball, Mädchen oder Autos, fanden nie statt.
Als Erwin ihm wieder einmal zu verstehen gab, dass er in Ruhe gelassen werden wollte, begann Eckbert, ihn zu hassen.
Wie dieser Fettsack schon aussah und herumlief! Seine Armbanduhr trug er nicht am Handgelenk, sondern in der Mitte des Armes. Seine Hosen waren ständig zu kurz, sodass man immer seine weiÃen Socken sah. Wenn seine Kegelbrüder zum Grillen kamen, prahlte er damit, was für ein toller Hecht er doch war. Einige Frauen in seinem Postamt hätten ihm zu verstehen gegeben, dass sie nicht abgeneigt wären, mit ihm, Erwin, eine Affäre zu beginnen. Wenn er über dieses Thema sprach, achtete er natürlich darauf, dass seine Gisela gerade nicht in der Nähe war. Eckbert hatte einmal im Badezimmer ein paar Pornozeitschriften gefunden, die Erwin wohl vergessen haben musste.
Seine Adoptivmutter glich immer mehr einer Bowlingkugel, fand er, rund mit drei Löchern.
Als Eckbert 15 Jahre alt war, tauchte eines Tages die Polizei vor dem weiÃen Lattenzaun auf. Eckbert stand zwischen zwei uniformierten Polizisten. Es war Samstag, alle Nachbarn waren daheim. Gisela kam sofort aus dem Haus gerannt. Sie trug eine blaue Nylonschürze, hatte braune Nylonkniestrümpfe an und groÃe, bunte Lockenwickler auf dem Kopf. Sie rief etwas von: »Ist das der Dank für alles, waren wir nicht immer für dich da?« und: »Was haben wir bloà falsch gemacht?« Durch das Gezeter wurde auch Erwin aufmerksam. Er rannte aus der Garageneinfahrt, bekleidet mit einem weiÃen, ärmellosen Unterhemd und blauen, kurzen Turnhosen. Auch er trug Kniestrümpfe, allerdings aus Baumwolle. WeiÃe. Er piepste: »Was sollen die Nachbarn denken, wenn die Polizei vorm Haus steht?« und: »Komm du mir nur rein!« Als die Polizisten dieses Schauspiel sahen, tat ihnen der Junge leid. Er war genug gestraft. Sie erklärten Gisela und Erwin, dass man beobachtet habe, wie ihr Sohn sich an einem fremden Moped zu schaffen gemacht hatte. Er bestritt aber jegliche Diebstahlabsichten. Sie als Polizisten wollten die Eltern über den Vorfall unterrichten. Man würde von einer Anzeige absehen. Als die Polizisten zu ihrem Streifenwagen zurückgingen, schüttelten beide den Kopf.
Nach diesem Vorfall sprachen Gisela und Erwin nur noch das Allernötigste mit dem Jungen. Eckbert entschied sich, das Abitur zu machen, zog in ein Internat und kam nur an den Wochenenden nach Hause. Da man ihn weiter behandelte, als wäre er Luft, kam er später nur noch einmal im Monat und dann noch seltener. Mit 18 Jahren machte er sein Abitur als Klassenbester, Durchschnitt: 1,2. Ihm standen alle Wege offen. Seine groÃe Leidenschaft war Geschichte und er wollte genau das studieren.
Nach der Ãbergabe des Abiturzeugnisses fuhr er ein letztes Mal nach Hause, packte seine Sachen, um endgültig abzureisen. Er wollte in der Universitätsstadt Köln bis zum Beginn seines Studiums ein wenig Geld verdienen und sich sein eigenes Leben gestalten.
Mit einem Koffer in der Hand ging er in die Küche, wo Gisela, Erwin und seine Stiefschwester gerade mit dem Mittagessen fertig waren. Gisela konnte an Eckberts Gesichtsausdruck erkennen, dass etwas nicht stimmte. Sie schickte ihre Tochter sofort in ihr Zimmer. Sie selbst blieb verunsichert auf ihrem Stuhl sitzen. Erwin lieà langsam die Zeitung sinken, sah zu seinem Adoptivsohn. Doch bevor er etwas sagen konnte, sagte Eckbert in einem leisen, ruhigen und ernsten Ton:
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