Infantizid
Roses vor. Jeder bekam ein Exemplar und zog sich auf sein Zimmer zurück. Nach einigen Stunden des intensiven Studiums trugen alle ihre Meinungen dazu vor. Und fast jeder kam zu der einhelligen Ãberzeugung, dass man versuchen sollte, den Vorschlag von Eckbert Rose zu realisieren. Sie interessierten sich für den jungen Mann, wollten ihn kennenlernen und seine Vorstellungen hinterfragen.
Dr. Rose zog gerade sein Jackett an, als es an der Tür klopfte. Prof. Selbmann trat ein.
»Ich wollte mich erkundigen, ob alles zu Ihrer Zufriedenheit läuft, Herr Dr. Rose?«
Wie immer konnte man an Eckberts Gesicht nicht erkennen, ob er sich freute, dass er seinen Professor sah oder ob es ihm egal war. Seine Miene verriet nie, was in ihm vorging. Selbst seine Stimme klang monoton und emotionslos, als er antwortete: »Danke, Prof. Selbmann, meinetwegen können wir beginnen.«
»Ich möchte Sie noch wissen lassen, dass alles, was nachher besprochen wird, natürlich nicht an die Ãffentlichkeit dringen wird. Sie können also frank und frei reden.«
Beide verlieÃen gemeinsam das Zimmer und begaben sich in den Konferenzsaal. 20 Stühle waren im Halbkreis zu einem Rednerpult hin angeordnet. Alle Teilnehmer hatten legere Freizeitkleidung an.
Dr. Rose betrat das Podium und begann seinen Vortrag mit folgenden Worten: »Guten Tag, meine Dame und meine Herren. Prof. Dr. Selbmann sagte mir, dass Sie meine Doktorarbeit über âºDas theoretische Modell einer neuen Staatsform für das neue Jahrtausendâ¹ gelesen haben. Und ich weiÃ, dass es eine Reihe von Menschen gibt, die sich sehr ernsthaft Gedanken über die Zukunft dieses Landes machen und die bereit sind, mit dem richtigen Programm eine Veränderung herbeizuführen. Und einige dieser Menschen, die sich zusammengeschlossen haben, sind Sie. Seit Beginn meiner wissenschaftlichen Arbeit zu diesem Thema war für mich klar, dass es auch praktisch möglich ist, eine neue Staatsform zu schaffen. Unter bestimmten Voraussetzungen natürlich. Ich stehe hier vor Ihnen, um die Frage, die Sie alle beschäftigt, zu beantworten: Wie ist diese Theorie in die Praxis umsetzbar?«
Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Teilnehmer hörten gespannt zu und warteten darauf, dass Eckbert weitersprach.
»Ich möchte mich kurz fassen. In mein Modell flieÃen die Erkenntnisse aus den Untersuchungen einer Vielzahl vergangener und noch bestehender Systeme ein. Darauf lag das Hauptaugenmerk für mich als Geschichtswissenschaftler. Vor allen Dingen habe ich die Ursachen des Scheiterns von Staatsformen analysiert und Schlussfolgerungen für dieses Modell gezogen. Die praktische Umsetzung soll nun die logische Fortsetzung meiner Arbeit sein. Sie werden die Ersten sein, die erfahren, wie in Deutschland Geschichte geschrieben werden kann. Und Sie werden verstehen, warum ich diesen Teil der Arbeit nicht veröffentlichen konnte. Sie suchen ein Programm zur Veränderung? Hier ist es.«
Dr. Rose referierte zuerst über Monarchien, Diktaturen, Republiken, über Mehrheits- und Verhältniswahlrecht und über die Staatsorgane. Nach einer Stunde sprach er über den organisatorischen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland und über den Deutschen Bundestag, den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler, die Bundesregierung, die Bundesversammlung, den Bundesrat, das Bundesverfassungsgericht und die Parlamente der Länder. Am Ende ging er auf die Gesetzgebung und die Gewaltenteilung ein.
»Die staatliche Ordnung der Bundesrepublik ist durch das Grundgesetz vom 23. Mai 1949 bestimmt. Meine Dame und meine Herren, dieses Gesetz entstand unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges und der Vergangenheit Deutschlands. Das ist fast 50 Jahre her! Es heiÃt dort, alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Es übt sie unmittelbar durch Wahlen und Abstimmungen aus. Wenn man sich die politische Landschaft in dieser Republik anschaut, übt es gar nichts aus. Seit Langem nicht mehr. Im Gegenteil, es ist mittlerweile zum Sport geworden, als Abgeordneter seinen persönlichen Vorteil aus allem zu ziehen und über den Dingen zu stehen. Rechtsverletzungen und Gesetzesbruch gehören zum Alltag führender Politiker. Das Volk bleibt auf der Strecke. Die Wahlbeteiligung nimmt immer mehr ab. Die Arbeitslosenquote ist hoch wie nie! Wenn sich nicht bald Grundlegendes ändert, verkommen wir zur Bananenrepublik und versinken in der
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