Infantizid
entlang, von Ziersträuchern verdeckt. Bevor die Rolltore wieder den Boden berührten, befand er sich ebenfalls in der Garage. Da in diesem Haus nur zehn Mietparteien wohnten, würde es ihm nicht schwerfallen herauszubekommen, welche Wohnung Dr. med. Eginhardt Röhl aufsuchen wollte. Er versteckte sich hinter einem Pfeiler und sah den Arzt vor dem Fahrstuhlschacht stehen. Der Lift kam und die Tür öffnete sich, Dr. Röhl stieg ein, drückte einen der Etagenknöpfe und verschwand. Im selben Augenblick stand der neue Plan des Hessen endgültig fest.
Gisela und Erwin Rose waren beide Ende 20, als sie sich dazu entschlossen, ein Kind zu adoptieren. Knapp zehn Jahre vergeblicher Versuche führten zu dieser Entscheidung. Sie wohnten in einem kleinen Vorort der Universitätsstadt Jena, in Ostthüringen. Ihr Haus war klein, nicht übermäÃig auffällig, aber dennoch in einem ordentlichen Zustand. Es war ein Reihenhaus, ein Erbstück ihrer Mutter und sie konnten es ihr Eigen nennen. Das sollte auch so bleiben und deshalb sparten sie immer erst für anstehende Renovierungsarbeiten, um die Immobilie nicht zu belasten. Das Grundstück war nicht groÃ, etwa 500 Quadratmeter maà es. Es war mit einem kniehohen, weiÃen Lattenzaun umgeben und im Vorgarten standen viele Gartenzwerge. Die Beete waren wie ein Musterbeispiel aus der Gartenzeitschrift gepflegt und kein einziger Grashalm wuchs zwischen den Gehwegplatten. Gisela und Erwin Rose waren ebenfalls klein, man konnte meinen, sie passten wie maÃgeschneidert in diese Umgebung. Gisela war 1,59 Meter und Erwin 1,65 Meter groÃ. Und beide hatten erhebliches Ãbergewicht. Sie war Unterstufenlehrerin und er bei der Post im Innendienst beschäftigt. Eigentlich schliefen sie nur einmal in der Woche miteinander, immer samstags nach dem Abendprogramm des Fernsehens. Sie lag nach ein paar Minuten auf dem Rücken, schwitzte und schnaufte, während er in eine Art Hecheln verfiel. Der Sex, welcher im Laufe der Zeit den Liebesakt eher zum Pflichtakt werden lieÃ, dauerte selten länger als fünf Minuten. Anfangs, kurz nach der Hochzeit, schliefen sie häufiger miteinander. Damals musste Erwin auch mittwochs seine Gisela beglücken. Sie wollte unbedingt ein Kind und lieà sich nicht davon abbringen. Es klappte nur leider nicht und statt sich damit abzufinden, wurde es zum Zwang, alle Möglichkeiten, die es gab, auszuschöpfen. Dafür spielte auch Geld keine Rolle. Mehrfach wurden Versuche der künstlichen Befruchtung vorgenommen, aber auch diese führten zu keinem Erfolg. So vergingen die Jahre. Als sie fast 30 war und sich wieder bei ihrem Gynäkologen vorstellte, unterbreitete er ihr die bittere Wahrheit, dass sie definitiv keine eigenen Kinder in die Welt setzen könne. Zunächst brach für sie eine Welt zusammen. Sie war eine Weile nicht ansprechbar und wurde krank. Sie stopfte vor lauter Frust immer mehr in sich hinein, lieà sich gehen und wurde noch dicker. Bis sie eines Tages eine Reportage im Fernsehen verfolgte, in der es darum ging, dass Frauen ihre Kinder zur Adoption freigaben. Sie erwartete ungeduldig ihren Mann von der Arbeit und überfiel ihn sofort mit dieser Alternative. Ihm blieb gar nichts weiter übrig, als sich einverstanden zu erklären. Sollte sie ihren Willen und er seine Ruhe haben. Kurze Zeit später stellten sie einen Adoptionsantrag. Nach unendlich viel Bürokratie, Gesprächen und Besuchen der Behörden in ihrem Haus wurde der Antrag genehmigt. Sie besuchten ein Waisenhaus und sahen einen kleinen Jungen mit dunklen Haaren und eisgrauen Augen. Er sah etwas blass aus und spielte ganz allein, abseits von den anderen Kindern. Gisela traf ihre Entscheidung sofort. Der Kleine tat ihr leid. Erwin stimmte zu und ab sofort waren sie zu dritt. Der Junge war am 10. Februar 1968 geboren und fünf Jahre alt, als er der Mittelpunkt der Familie Rose wurde. Sie nannten ihn Eckbert. Wenn Erwin manchmal samstags nach dem Abendprogramm seine Hand in Richtung Gisela schob, sah sie ihn nur vorwurfsvoll an. Dennoch gelang es ihm, seine Gisela wenigstens einmal im Monat kurz zum Schwitzen und Schnaufen zu bringen.
Trotz aller Bemühungen der Fürsorge und Zuneigung in den folgenden Jahren blieb der Junge introvertiert und redete nicht viel. Lachen sah man ihn selten. Aus der Schule brachte er von Anfang an sehr gute Noten mit nach Hause. Das Lernen fiel ihm leicht,
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