Infantizid
jetzt ist doch auch nichts passiert. Sie werden es nicht glauben, es war keiner da. Als ich Ihren Flur betrat, stand niemand vor Ihrer Tür. Ich hatte mich schon auf eine Auseinandersetzung vorbereitet. Absolut überflüssig, nur kann man das ja vorher nicht wissen. So wurde jedenfalls keiner verletzt.«
Der Innenminister rieb sich die Augen und sah auf die Uhr. Es war 2 Uhr morgens. Er hatte sich erst vor einer Stunde hingelegt. Das komplette Personenschutzkommando würde in Zukunft Tanzveranstaltungen absichern, nahm er sich vor. Laufen den ganzen Tag wichtig in ihren Anzügen herum, tun wer weià wie gestresst und im Ernstfall taugen sie zu nichts. »Verdammte ScheiÃe«, fluchte er und stand auf. »Ich brauche einen Drink. Wollen Sie auch einen?«
Arndt lehnte ab. Die Reaktion des Ministers gefiel ihm. Er hatte die Situation erkannt und war sich seiner Rolle bewusst. Beide konnten nicht wissen, dass Arndt unglaubliches Glück hatte, dass er so einfach zu ihm vordringen konnte. Die Tür war nur insgesamt 30 Sekunden unbeaufsichtigt gewesen. Während der eine Personenschützer auf der Toilette saÃ, irgendetwas am Abendbrot hatte sein Magen nicht vertragen, waren dem anderen die Zigaretten ausgegangen. Er war kurzerhand an den Automaten im Erdgeschoss gerannt, um sich neue zu ziehen. In diesem Moment war Arndt um die Ecke der Etage gekommen und wollte seinen Augen nicht trauen. Kein Mensch da! Vor einer Tür stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, völlig verwaist. Nur in diesem Zimmer konnte der Innenminister sein. Gerade als er die Tür des Ministers von innen geschlossen hatte, kam der Personenschützer von der Toilette zurück. Und kurze Zeit später auch der andere.
»Nein, danke. Ich möchte jetzt keinen Alkohol. Herr Innenminister, Sie sind ein kluger Mann. Ich weiÃ, dass ich eben eine schwere Straftat begangen habe. Und es war nicht die erste. Aber ich hatte keine andere Wahl. Ãber die Konsequenzen bin ich mir im Klaren. Sie werden mir wohl oder übel zuhören müssen. Die Chancen stehen 50 zu 50, dass ich mich in Ihnen nicht täusche und den richtigen Mann als Ansprechpartner vor mir habe.«
Der Innenminister stand an der Hausbar und schenkte sich einen Moskovskaja, echten russischen Wodka, ein. Er trank das Glas in einem Zug aus. Nach kurzem Zögern goss er gleich noch mal nach.
»Richtig, das ist eine schwere Straftat. Egal, was Sie mit mir veranstalten, Sie werden dafür bestraft werden. Was, denken Sie, würde passieren, wenn jeder mit einer Pistole bewaffnet zu einem Minister vordränge, um ihm von seinen Problemen zu erzählen?«
Arndt legte die Pistole auf den Tisch. Dann sah er den Innenminister ernst an. »Ich weiÃ, was Sie meinen. Aber es geht nicht um ein persönliches Problem. Ich bin nicht durchgeknallt oder verrückt. Bitte setzen Sie sich und hören Sie mir um Gottes willen zu.«
Nachdem der Minister das zweite Glas geleert hatte, sagte er: »Ich kann noch ganz gut stehen. Also, Mann, was wollen Sie eigentlich mitten in der Nacht von mir?«
»In ein paar Tagen oder Wochen wird es Deutschland nicht mehr geben. Nicht mehr so, wie Sie es kennen. Und das meine ich nicht nur politisch, sondern auch geografisch. Die gröÃte Insel Deutschlands existiert dann möglicherweise auch nicht mehr.«
Die gröÃte Insel Deutschlands? Rügen. Und wieso würde es Deutschland so nicht mehr geben? Der Innenminister stellte sein Glas zurück und setzte sich.
»Fangen Sie an. Ich höre Ihnen zu.«
DRITTER TEIL: JÃGER UND GEJAGTE
Mittwoch, 20. August 1968, 22:30Â Uhr, Prag, Flughafen Ruzyn Ä
»Erteilen sie uns die Landeerlaubnis?«, fragte Anatoli Sergejewitsch Rybakow den Piloten.
»Nein. Wir sollen auf den Militärflughafen Kbely ausweichen«, antwortete der Pilot der Führungsmaschine dem jungen Major, der neben ihm im Cockpit stand.
»Landen Sie trotzdem. Danach parken Sie das Flugzeug direkt vor dem Flughafengebäude. Und informieren Sie die nachfolgenden Maschinen.« Der Major drehte sich um, verlieà das Cockpit und ging zurück in den Frachtraum.
Major Rybakow war 30 Jahre alt und Bataillonskommandeur in der 103. Garde-Luftlande-Division. Er war durchtrainiert, hatte kurze, schwarze Haare und dunkle Augen. Er war Absolvent des Rjasaner Kommando-Instituts, einer Einrichtung, die die Militärelite der Luftlandetruppen
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