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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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verschwunden. Und aus dem Schaukasten waren die Stiche des Schlosses entfernt worden. Hinter der beschlagenen Scheibe war nichts als die schwarze Rückwand.
    Die zweite Überraschung lag in Sichtweite: Auf dem Hügel, über den ich mir einen Pfad zum Berg geschlagen hatte, war das Gesträuch großflächig niedergetrampelt. Jemand war da oben gewesen, eine ganze Meute, wie es schien.
    Mit klopfendem Herzen und doppelt widerstrebend durchstieg ich das Areal geknickter Zweige und plattgedrückter junger Grashalme. Die Spur führte direkt zum Loch, das keines mehr war, denn mitten darüber lag, beschwert von Steinen, ein Bretterverschlag – eine Art Floß auf dem Trockenen.
    Um den Bretterverschlag wiederum verlief so eng, dass man ihn darin nicht hätte verrutschen können, ein gut zwei Meter hoher metallener Absperrzaun, acht Einheiten, zum Quadrat aneinandersetzt und fest miteinander verkettet. Eine unüberwindbare Konstruktion: zu hoch, um in einem Satz darüber zu kommen, zu labil, um festen Halt zum Klettern daran zu finden, zumindest, wenn man allein war.
    Mit den schweren eisenbeschlagenen Stiefeln stolperte ich zurück zu meinem Fahrrad. Jetzt sah ich auch die Reifenspuren von mindestens einem schweren Fahrzeug auf Waldboden und Kiesweg. Nichts hielt mich hier mehr. Nichts trieb mich mehr, wahrlich, das spürte ich deutlich: Ich war wieder ich und konnte tun was ich wollte.
    Ein bisschen zu spät, dachte ich grimmig, als mir klar wurde, dass ich jetzt alle Zeit und alle Konzentration zum Lernen gehabt hätte.

Kapitel 10: Der Knochen
     

    Am nächsten Tag war mein Brief nicht in der Post.
    Was sollte es, musste ich morgen eben noch mal aufpassen. Hatte ja eh nichts anderes zu tun. Das Wetter war mies. Ich spürte erstmals den Drang, zu verreisen, weit weg, und einfach durch die Welt zu gondeln. Allem davon zu laufen.
    Vor mir lagen die aufgeschlagenen Mathe-Bücher. Über Nacht hatte ich beschlossen, das Steuer doch noch herum zu reißen. Der Kollegstufenbetreuer mochte mir Ratschläge geben, aber er konnte mir die Nachprüfung nicht verwehren. 12 Punkte brauchte ich, und die waren zu schaffen. Zum Teufel, Mathe war nach Sport immer meine zweite Stärke gewesen!
    Doch ich starrte über die Bücher hinweg an die Wand. Irgendwie war die Luft raus. Die Prüfungen waren vorbei. Über ein Danach hatte ich nie ernsthaft nachgedacht. War ja nie außer Frage gestanden, dass ich bestehe und dann erst mal zum Bund muss, und was im luftleeren Raum jenseits des Zwangsapparates Schule kam, welches Studium an welcher Uni, ob wirklich Sport, vielleicht doch Medizin oder ganz was anderes, das würde sich schon zeigen.
    Was war da draußen an der Friedrichsruh eigentlich passiert? Weder in der Zeitung noch in den Lokalnachrichten im Radio war heute etwas über einen Unfall zu lesen oder zu hören gewesen. Vielleicht hatte es gar keinen Unfall gegeben. Der Förster hatte meine Spuren gesehen, das Loch entdeckt und es absperren lassen, bevor etwas passieren konnte. Man bewahrte Stillschweigen darüber, um nicht erst Neugierige da raus zu locken.
    Vielleicht hatte der Förster auch das Gästebuch und die Abbildungen des Schlosses beschlagnahmt, um dieses geheime Kommunikationszentrum im Wald aufzulösen und die Teilnehmer zu zerstreuen. Natürlich würden die unterirdischen Räume über kurz oder lang untersucht und danach dauerhaft versperrt, vielleicht sogar verfüllt werden.
    Ich zermarterte mir den Kopf, aber ich kam nicht drauf, was ich da unten alles gesehen hatte und mit welchen Ergebnissen ich wieder ausgestiegen war. Ich erinnerte mich an Blümchentapeten und an die schwere Holztruhe.
    Nur zwei Räume. Hier wie dort staubige, schwere, erdig-pappige Luft. Wirklich nur zwei Räume? Das Schloss konnte doch nicht nur aus zwei Räumen bestanden haben! Da war doch noch eine Tür gewesen, eher ein Durchschlupf. Ein Wandteppich. Und eine Treppe?
    Vergiss das Schloss!
    Ich stand auf, ging zum Fenster und starrte in den Regen.
    Was sprach eigentlich dagegen, ein paar Tage abzuhauen? Ich würde meine Mutter nicht mal um Geld angehen müssen, ich hatte ein bisschen was auf meinem Sparbuch. Und ich war volljährig, konnte jederzeit überall hin. Warum überhaupt noch mal zur Prüfung antreten? Es gab so viel, was ich machen könnte. Aber was wollte ich?
    Tausend Dinge.
    Wirklich, am liebsten wäre ich losgeradelt, nicht einfach ein bisschen durch den Wald, sondern zielstrebig ab nach Süden. Ich wollte fahren, bis es dunkel wurde,

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