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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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erholen. Keine Ahnung, wer Herr Franz überhaupt war, vermutlich der fremde Mann, der sich an mein Mutter hielt. Wie kam dieses Quartett bloß zusammen? Ohne den Einfluss des Blauen ist das nicht zu erklären.
    Ich muss erschreckt wirken. Wendelin Forberig zieht eine Riesenshow ab. Auch das gehört wohl zum Plan, denn seine überirdische Manager-Würde hätte ihn nicht mal hier herein steigen lassen, den Wald hätte er wohl nicht mal betreten, schon gar nicht mir eine gesemmelt, geschrien, gekämpft und getobt. Gewaltlosigkeit war immer der einzige Vorteil seiner Gefühlskälte gewesen.
    Wir sind nah dran, es schon gleich hier unten zu Ende zu bringen. Wie nah, das wird mir erst jetzt, beim zweiten Erleben bewusst. Aber das wäre nicht richtig gewesen, denn noch sind wir nicht komplett, und deshalb lässt der Blaue es nicht zu, dass wir uns mit bloßen Händen zerfleischen. Er saugt uns die Energie so plötzlich ab, dass wir aus dem Kampf heraus zu Boden sinken und nicht mal mehr die Kraft haben, uns zu wundern über unser aberwitziges Verhalten.
    Das ist der Moment des Vergessens. Mit Clarissas Hilfe überschreite ich ihn mühelos.
    Es ist meine Mutter, die als Erste etwas sagt, und ihre Stimme klingt so unbeteiligt dabei, als habe sie nur mal wieder eben in meinem Zimmer vorbeigeschaut.
    „ Von hier unten hast du den Knochen oder? Die Lumpen und den ganzen Dreck...“
    „ Ja.“
    „ Zeig mir, wo. Ich will die Gruft sehen.“
    „ Wir müssen tiefer“, ordne ich an, stehe auf, und niemand hat was einzuwenden.
    Allgemeines Füßescharren, Stöhnen und Seufzen, als es an die Arbeit geht. Ich greife mir die Taschenlampe vom Boden, meine Schlüssel und meinen Rucksack und gehe voraus.
    Ich weiß noch genau, wie es war, ihn zu Grabe zu tragen, den großen Bruder, nachdem er Vater, Schwester und sogar Mutter vergiftet, das Familienvermögen zusammengerafft und mich zum Blauen Frosch hatte verkümmern lassen. Er schwand dahin und war nicht mehr. Der Hass in einem Knall verpufft – und ich um meine Rache gebracht. Aber du wirst wieder auferstehen und mir endlich vor die Klinge kommen, noch heute Nacht!
    Niemand fragt, niemand zögert, als es die Treppe hinab geht, die enge, steile Grabesleiter. Auch das war deine Inszenierung, eine Familiengruft wie ein Flaschenschiff unters Schloss zu bauen, erst die tonnenschweren, seelenerdrückenden Steinsarkophage, dann den Zugang verengen und zum Nadelöhr verbauen. Und als letzte Gemeinheit mich in die Holzkiste zu verbannen, in Lumpen und Binden gehüllt wie ein elender Landstreicher.
    Aber genau das sollte ja mein Glück sein, wie wir sehen und noch sehen werden.
    „ Wo seid ihr jetzt?“, wagt es die Hexe, diesen weihevollen Moment zu stören.
    „ Fahr zur Hölle!“, zischt der Blaue Frosch.
    „ Ich habe Sebastian gefragt.“
    Ach ja, der Bengel ist ja auch noch da und mit dabei.
    „ Wir kommen jetzt in die Grabkammer.“
    „ Kannst du mir beschreiben, was du siehst?“
    „ Das Licht ist nicht sehr hell, aber man erkennt die großen Steinfliesen am Boden und ein niedriges Kreuzgewölbe darüber. Das Gewölbe wird getragen von dicken, kurzen Säulen. Der Raum wirkt sehr beengt. In der Mitte steht ein gewaltiger Granitsarkophag, gut doppelt so groß wie die anderen drei Särge, die ihn umringen: ein kleiner links, ein etwas größerer rechts und daneben noch mal ein kleinerer.
    Ganz in der Ecke und ohne Podest am Boden krumm und schief steht ein vermoderter Holzsarg, der Form nach eher eine Kiste. Ich weiß noch, dass der Deckel schon gesprengt war, als ich das erste Mal hier herunter kam, aber nicht durch Menschenhand. Der war nur drauf gelegt und mit ein paar Nägeln fixiert worden, der Deckel, und durch das arbeitende Holz entstand der Spalt. Ich konnte hineingreifen und mir die Taschen vollstopfen.“
    „ Wozu?“
    „ Um ihn immer bei mir zu haben. Er wollte das so: er und ich, auch physisch verbunden. Das machte den Befall perfekt.“
    „ Und was tut ihr jetzt?“
    „ Die anderen umringen den großen Steinsarg. Sie wissen, was zu tun ist.“
    „ Und was soll das sein?“
    „ Den Sarg öffnen. Ich hab es auch versucht, aber der Deckel ist so schwer und scharfkantig. Meine Arme...“
    „ Du hast dir die Arme zerkratzt. Ich habe die Narben gesehen.“
    „ Diesmal hab ich vorgesorgt.“
    „ Womit?“
    „ Einem Brecheisen.“
    „ Aber bist du nicht ursprünglich in die Gewölbe, um das Ding loszuwerden?“
    „ Ich bin nicht immer ich. Falls Sie das noch nicht

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