Infektiöse Visionen (German Edition)
gemerkt haben. Wenn der Blaue etwas mit mir macht, dann lässt er die Motive auch schon mal wie meine eigenen aussehen, damit ich leichter mitmache.“
„ Und der Blaue lässt zu, dass du mir das alles erzählst?“
„ Weil es Ihnen ohnehin nichts nutzt. Er hält Sie für eine kraft- und machtlose, hässliche alte Betrügerin.“
Ich spürte aus meiner Hypnose heraus, wie sehr sie das getroffen hatte. Sie schwieg, überließ mich meinen neu gelebten Erinnerungen, und die zeichneten sich wohl als brutale Anstrengung auf meinem Gesicht ab, denn irgendwann fragte sie, die Stimme nur mühsam gefasst:
„ Was passiert jetzt?“
„ Wir haben den Sargdeckel bewegt. Zu fünft und mit Stemmeisen haben wir es gerade so geschafft, einen kleinen Spalt zum Hineingreifen zu öffnen.“
„ Wollt ihr nicht hinein sehen?“
„ Nein, wozu? Ist zu gefährlich außerdem, das tonnenschwere Ding womöglich zum Kippen zu bringen. Unser Ziel haben wir erreicht.“
„ Und was ist das?“
„ Die schwarze Wolke, sie ist frei, durchdringt uns und schwebt über uns. Hass und Rache sind wieder beieinander und laden sich auf. Bald wird es so weit sein, dass sie losschlagen.“
„ Ihr habt eine schwarze Wolke gesehen?“
„ Sie ist jetzt überall, auch bei dir. Hättest du echte Hexenkräfte, wärst du längst auf und davon.“
Sie räuspert sich. Ein neuer Volltreffer. Ich kann ein Kichern des Blauen Frosches nicht unterdrücken.
„ Ja, sehr nett. Erzähl mir lieber, was jetzt passiert.“
„ Sie greifen hinein, sogar Herr Etepetete Wendelin Forberig.“
„ Sie greifen in den Sarg? Auch Vera?“
„ Vera und meine Mutter und auch dieser Herr Franz. Sie tasten und suchen. Suchen sich was Schönes aus.“
„ Was ist mit dir?“
„ Ich hab schon, was ich brauche. Wie immer spiele ich damit, mit dem Knochen in meiner Tasche.“
„ Erkläre mir bitte den Sinn dieser ganzen Aktion.“
„ Oh! Erkläre mir bitte...“
Ich kichere laut, gekünstelt und böse.
„ Das wüsstest du wohl gern. Natürlich hat die Aktion einen Sinn. Wir erwecken uns nun zum Leben. Und du kannst nichts dagegen tun.“
„ Na schön. Was machen sie jetzt?“
„ Vera sucht noch. Meine Mutter hat was ertastet. Aber es hängt fest. Sie zerrt daran. Na ja, die kommt schon noch drauf.“
„ Auf was?“
„ Jetzt hat sie’s. Es knackst wie bei einem dürren Ast, wenn alte, vertrocknete Knochen brechen.“
„ Du musst nicht in Rätseln sprechen. Erzähl mir einfach, was passiert.“
„ Oh, es ist wirklich was passiert. Meine Mutter zieht ihre Beute aus dem Sarg. Sie hat dem rabenschwarzen Giftmischer den rechten Ringfinger abgebrochen. Interessant ist das, denn ich in meinem billigen Holzsarg bin bis auf die Knochen zerbröselt. Aber der feine Herr in seinem Steinsarg hat sich gut erhalten, der Finger ist grau und etwas eingeschrumpelt, aber noch ein richtiges Glied mit Fingernagel, Haut und...“
„ Schon gut, das kannst du dir sparen. Was macht sie damit?“
„ Sie steckt den Ring samt Finger in ihre Handtasche.“
„ Und Vera?“
„ Die hat jetzt auch was. Die Reste seiner Männlichkeit. Wie trefflich angesichts der Gegenwart.“
„ Was wird nun passieren?“
„ Erst mal nichts mehr. Ende der Vorstellung. Du kannst ihn wecken, alte Hexe.“
Ich erinnerte mich an alles. Jedes Wort, jedes Bild. Aus erlebter Realität und später wiederholtem Erleben in der Hypnose, dem Trialog von Clarissa mit mir und dem Blauen Frosch formte sich die Gesamterinnerung eines überirdischen Bewusstseins. Ich war ich und er in Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig. Und die Zukunft, auf die Clarissas letzte Frage vorweggegriffen hatte, war dabei zur Realität geworden, die sich schon abgespielt hatte, bevor sie überhaupt beginnen würde.
Ich fühlte mich großartig, als ich wieder mal die Bioladen-Kasse plünderte, um die Ausrüstung zu beschaffen. Was mich die ganze Zeit gedrängt hatte, es fand Erfüllung mit einem galaktischen Glücksbegleitgefühl: Es war so weit, endlich konnte es losgehen!
Kapitel 30: Botschaft an die Tangels-Hexe
Clarissas Bericht
Selten hatte mich eine Sitzung so ausgelaugt wie diese.
Ich schickte den Teufelsjungen, kaum hatte ich ihn zurückgeholt in die Gegenwart, aus meiner Wohnung. Nicht dass ich was gegen Sebastian gehabt hätte. Ich konnte jetzt, nach dem ersten Schock bei seinem Einzug, durchaus zwischen ihm und seinem abscheulichen Begleiter unterscheiden. Der Junge selbst war ganz in
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