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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Ordnung, aber das hundsgemeine Mistvieh, das sich an ihn krallte, wollte ich nicht im Haus haben.
    Vera hielt ihn für eine Art Krankheit, und nun wusste ich, dass auch er selbst sich dafür hielt. Dabei war er nur eine kleinliche, böse Menschenseele, die nicht von ihrer Rache lassen konnte, auch nach Jahrhunderten nicht. Und ich hatte keine Ahnung, was ich gegen seine Pläne hätte unternehmen können.
    Zunächst war ich nur froh, ihn endgültig aus dem Haus zu haben. Sebastian war mit ihm auf und davon, und ich war ihm zum Glück nicht wichtig genug gewesen als dass er mich mit meinem Wissen nicht mir selbst hätte überlassen können. Oder er tat das gerade, weil es dazugehörte.
    Denn natürlich spielte auch ich eine Rolle in diesem Schurkenstück, in das ein bösartiger Geist eine Familie samt Liebhaber der Ehefrau und Liebhaberin des Ehemannes verwickelt hatte. Diese Liebhaberin war meine Tochter, und deshalb konnte ich nicht so tun als sei ich nicht betroffen, ganz egal, ob mir eine darüber hinaus gehende Rolle zugedacht war oder nicht.
    Grund, mich herauszuhalten, hätte ich gehabt: Veras Kräfte waren so viel stärker als meine – wenn schon sie sich nicht zu schützen und zu wehren wusste, hatte ich sowieso nichts auszurichten.
    Aber das war billig und zudem ein Akt von Selbstmitleid. Ich hatte ihr, meiner eigenen Tochter, ihre Kräfte immer geneidet und die Ungerechtigkeit beklagt, dass die Natur ausgerechnet sie damit ausgestattet hatte, die sie nicht wollte, aber mir, die ich seit dem 13. Lebensjahr meine Bestimmung darin sah, nur eine Ahnung davon gewährt hatte.
    Nun, nach jenem virtuellen Besuch in der Grabkammer der Schlossruine im Wald, erkannte ich zum ersten Mal, dass meine Heuchelei viel tiefer reichte. Ich hatte diese Kräfte – ich war nur zu bequem und stolz, sie zu entfalten. Lieber spielte ich den Abklatsch einer Hexe, legte Karten, blendete Träumer mit allerlei Klimbim, als in meine Tiefen hinabzusteigen und die schlafende Riesin in mir zu wecken. Aber es ist ja immer so, bei allem im Leben, dass man erst dann mehr tut als notwendig, wenn die äußeren Umstände es erzwingen. Und selbst da kostet es so viel Überwindung.
    Ich war nun allein im Haus und holte nach, was ich versäumt hatte: mich mit dem Fall mehr als nur oberflächlich zu befassen. Als erstes hängte ich am nächsten Morgen Veras Schild für alle Fälle von innen an die Ladentür: „Vorübergehend geschlossen.“
    Dann hockte ich mich in die Kammer hinter dem Lager und las die drei Berichte, die Sebastian auf seinem noch bezogenen Bett liegend zurückgelassen hatte.
    Bis zum Mittag war ich durch. Ich unterdrückte das gewohnte Verhaltensmuster, mir erst mal die Karten zu legen, um diese abstruse Geschichte tiefer zu ergründen. Dafür war schlicht keine Zeit, und zudem spürte ich, dass es auch nicht viel geholfen hätte. Statt Tarot und Selbsthypnose zu praktizieren, machte ich mich auf zu diesem Ort im Wald. Veras Lieferwagen stand im Hof, der Autoschlüssel lag im Laden.
    Nicht, dass ich vorgehabt hätte, in die Gruft hinab zu steigen, was in meiner körperlichen Verfassung sowieso unmöglich gewesen wäre. Wozu auch, inzwischen gab es nur noch tote Knochen dort. Aber Sebastian hatte mich auf eine kleine Spur gebracht, und der wollte ich nachgehen: sein Zettel am Schaukasten, die Nachricht an diesen Egon Stubenfeuer.
    Es hing noch dort, ein liniertes Blatt aus einem Schulheft, festgepappt an die Glasscheibe, quer darüber Sebastians Schmierschrift, inzwischen leicht zerfasert durch die Feuchtigkeit des Waldes:
    „ Hallo Herr Stubenfeuer, ich habe Fragen zur Friedrichsruh und zu Ihrem Wanderer-Gästebuch. Bitte rufen Sie mich an. S. Forberig.“
    Angegeben war Veras Geschäfts-Telefonnummer. Von der Zahlenreihe deutete ein Pfeil nach rechts in ein freies Eck des Zettels, in dem in kleinen, aber gut leserlichen Buchstaben stand:
    „ Die lieben Wanderfreunde Egon Stubenfeuer und Harry Schmidt sind hier nicht mehr anzutreffen. Der Harry ist am 11. Juni verstorben, und der Egon hat sich zeitgleich die Hüfte gebrochen. Wir fragen ihn mal, ob sie ihn anrufen dürfen. Gerda Köhnlein und Heiner Krauß.“
    Von der Unterschrift ging ein weiterer Pfeil in eine andere Ecke. Dort stand in einem anderen Kugelschreiberblau als dem der ersten Botschaft, aber in der gleichen Handschrift: „Wir waren bei Egon. Hat leider kein Telefon. Ist schon wieder ganz beweglich. Besuch möglich: Waldhäuser 4, Steineck.“
     

    Die

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