Infektiöse Visionen (German Edition)
Waldhäuser 1 bis 3 lagen direkt an der Landstraße. Zur Hausnummer 4 zeigte ein kleines Schild, und ich folgte der schmalen Teerstraße hinein in das Fichtendickicht.
Nach der ersten Kurve versperrte eine rostrote Schranke den Weg. Ein Schild stand daneben: „Privatweg, Durchfahrt verboten!“
Genervt stieg ich bei laufendem Motor aus und sah mir die Sache an. Das Vorhängeschloss war nicht eingerastet, die Schranke war zu entriegeln und mit einiger Mühe anzuheben.
Ich ließ sie offen stehen, als ich weiterfuhr. Gegen Schranken, Zäune, Verbotsschilder und Verriegelungen hatte ich was, und so war ich nicht besonders gut zu sprechen auf diesen Egon Stubenfeuer, noch bevor ich ihn überhaupt kennengelernt hatte.
Aber die Schranke sollte erst der Anfang gewesen sein. Es folgte, nur wenige 100 Meter weiter, ein schmiedeeisernes Tor mit bogenförmigen Flügeln, die an der Spitze wohl drei Meter maßen. Links und rechts der Durchfahrt ragten säulenartige Torpfosten mit verschnörkelten Wappen noch darüber hinaus. Auch der Maschenzaun, der sich links und rechts anschloss, war für mich nicht und wohl auch für sonst niemanden zu überwinden.
Wieder musste ich anhalten und aussteigen. Auf einmal hatte ich das Gefühl, meine Zeit zu vertrödeln. Was nur erhoffte ich mir hier zu erfahren, dass sich der Aufwand lohnte?
Das Tor indes war nicht verschlossen, es ließ sich aufdrücken, wenn auch nur einen Spalt. Ich zwängte mich hindurch und folgte dem schlecht gepflegten Kiesweg um eine weitgeschwungene Kurve, hinter der sich ein absonderlicher Blick auftat.
Zuerst begriff ich gar nicht, was ich da sah. Ein riesenhaftes Gebäude auf jeden Fall, aber was sollte das sein? Es sah aus wie die Ruine eines Rohbaus in den Dimensionen eines gigantischen Schlosses. Da waren rohe, unverputzte Mauern, von Moos bedeckt und von Efeu überwuchert; da waren Türme, die nur halb aufragten, und andere Türme, die es bis zum Dachstuhl gebracht hatten, der inzwischen aber schon zusammengefault war; Erker ohne Fenster; Fenster ohne Vorhänge, zerbrochene Fenster; Türstöcke ohne Türen.
Das Absurdeste aber war der Mittelteil um den Haupteingang herum, denn der war fertiggestellt bis auf den letzten Schnörkel, liebevoll erhalten und gepflegt. Ein Baugerüst ließ auf aktuelle Aktivitäten deuten. Aus dem Monstrum von Gesamtanlage stach dieses bisschen frisch gestrichene Vollendung heraus wie ein faltenloses Gesicht auf einem Greisenkörper.
„ Was wollen Sie?“
Erst jetzt fiel mir auf, dass eines der Tore des Eingangsportals einen Spalt offenstand und ein Mann daraus hervorsah.
„ Ich will zu Herrn Stubenfeuer“, rief ich und setzte mich aus meinem staunenden Verharren heraus wieder in Bewegung.
„ Und warum?“
„ Ich habe Ihre Adresse von Ihren Wanderfreunden Gerda Köhnlein und Heiner Krauß. Es geht um die Ruine Friedrichsruh.“
„ Dann sind Sie ... Frau Forberig?“
Ich war ins Schnaufen gekommen und konnte nicht antworten. Deshalb legte ich die letzten Meter zurück, ohne etwas zu sagen, quälte mich die Treppe hoch und trat an den Türspalt. Der Mann hatte das Tor inzwischen aufgezogen und stand auf Krücken vor mir. Er war viel jünger als erwartet, höchstens 50, und trug einen Arbeitsoverall.
„ Herr ... Stubenfeuer?“, fragte ich japsend. Und auf sein Nicken hin: „Ich bin Clarissa Tangel.“
Ich wusste nicht recht, ob ich ihm die Hand geben sollte. Unentschlossen hob ich den Arm, und er schaffte es, seine rechte Krücke loszulassen und den Gruß zu erwidern. Seine Hand fühlte sich rau und wuchtig an wie eine Maurerpranke.
„ Ein ungewöhnliches Haus“, sagte ich und ließ angedeutet den Blick schweifen. Er suchte wieder Halt an seiner zweiten Krücke und schaute mich befremdet an.
„ Sind Sie Maklerin oder so was?“
„ Was? Nein, wieso?“
„ Sie interessieren sich für die Friedrichsruh, mein Haus... Ich weiß immer noch nicht, was Sie eigentlich wollen. Und die Botschaft auf dem Zettel am Schaukasten hat doch jemand ganz anderes geschrieben.“
„ Ja, das ist eine ziemlich komplizierte Geschichte. Es geht eigentlich nicht um Häuser, sondern um Geister.“
Erst schaute er verblüfft, dann lächelte er ungläubig.
„ Sie denken, dass es bei mir spukt?“
„ Keine Ahnung, aber in der Ruine Friedrichsruh auf jeden Fall. Wussten Sie, dass es dort eine unterirdische Gruft mit Särgen gibt? Die Leichen sind auch noch vorhanden, zumindest in Form von Knochen.“
Er schüttelte entschieden
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