Infernal: Thriller (German Edition)
teuflischen Kreatur. Die Stimme des Feuers. Ich habe sie mehr als einmal gehört, an den verschiedensten Orten, und das Geräusch geht mir jedes Mal aufs Neue unter die Haut. Es gibt Gründe, warum Menschen zehn Stockwerke auf die Straße hinunterspringen, um nicht bei lebendigem Leib zu verbrennen. Dieses Brüllen ist einer davon.
Ich krieche als Erste durch die Tür zum Schlafzimmer. Hier drin ist der Rauch nicht so schlimm. Es gibt nur ein einziges Fenster. Als ich darauf zukrieche, packt mich Wingate am Knöchel.
»Warten Sie!«, ächzt er. »Das Bild!«
»Vergessen Sie das verdammte Bild!«
»Ich kann es nicht zurücklassen! Meine Sprinkler funktionieren nicht!«
Der Griff seiner Hand um meinen Knöchel löst sich. Als ich mich umwende, kann ich ihn nicht sehen. Der Dummkopf ist willens, um des Geldes wegen zu sterben. Ich habe Menschen aus weniger wichtigen Gründen sterben sehen, aber nicht viele. Ich stehe an der Tür und versuche, durch den Rauch zu sehen, vergeblich.
»Vergessen Sie das gottverdammte Bild!« , brülle ich in die graue Wand.
»Helfen Sie mir!«, ruft er zurück. »Ich kann die Kiste nicht alleine schleppen!«
»Lassen Sie die Kiste liegen!«
Keine Antwort. Einige Sekunden später höre ich heftige Schläge gegen Holz. Wahrscheinlich der Hammer. Dann ein reißendes Geräusch wie von berstendem Holz.
»Es steckt fest!« , brüllt er. Ein erstickter Hustenanfall dringt durch das Brüllen des herannahenden Feuers. »Ich brauche ein Messer! Ich kann die Leinwand aus dem Rahmen schneiden!«
Es ist mir gleichgültig, wenn Wingate unbedingt Selbstmord begehen will, doch plötzlich dämmert mir, dass das Bild in dieser Kiste möglicherweise mehr wert ist als Geld. Das Leben weiterer Frauen könnte davon abhängen. Ich sinke auf die Knie, hole tief Luft und krieche in Richtung des Hustens.
Bald stoße ich mit dem Kopf gegen etwas Weiches. Es ist Wingate, der würgend Sauerstoff aus dem Rauch zu ziehen versucht. Die Flammen sind am oberen Treppenabsatz angekommen, und in ihrem orangefarbenen Flackern sehe ich das Bild. Zur Hälfte ist es aus der Kiste, doch es hängt an dem Seitenpaneel fest, das Wingate nur halb entfernt hat. Hastig öffne ich den Reißverschluss meiner Gürteltasche, ziehe meine Canon hervor, mache drei Schnappschüsse, stecke die Kamera wieder ein und packe Wingate an der Schulter.
»SIE WERDEN STERBEN, WENN SIE JETZT NICHT KOMMEN!«
Sein Gesicht ist grau, seine Augen fast zugeschwollen. Ich packe seine Beine und will ihn zum Schlafzimmer ziehen, doch die Anstrengung lässt mich schwindeln, und für einen Moment wird mir schwarz vor Augen. Ich stehe kurz vor einer Ohnmacht, und hier und jetzt ohnmächtig zu werden bedeutet den Tod. Ich lasse Wingate los, stürze zum Fenster, lege den Riegel um und schiebe es nach oben.
Die Luft draußen trifft mich wie ein Eimer kalten Wassers. Meine Lungen füllen sich mit Sauerstoff, und mein Kopf wird wieder klar. Einen Augenblick lang schwanke ich, ob ich noch einmal zurückgehen und Wingate holen soll, doch mein Überlebensinstinkt behält die Oberhand. Unter mir befindet sich der eiserne Rahmen der Feuerleiter. Es ist das klassische New Yorker Modell: Ein Stockwerk tiefer wartet die Schiebeleiter nur darauf, dass mein Gewicht sie hinunter zum Bürgersteig sinken lässt. Doch als ich auf die Plattform krieche und an der Verriegelung zerre, bewegt sich überhaupt nichts. Eine Rauchwolke quillt aus dem Fenster hinter mir. Ich ziehe mit all meiner Kraft an einer Strebe, doch nichts geschieht.
Ich habe lange genug in New York gelebt, um zu wissen, wie Feuerleitern funktionieren, und diese hier funktioniert nicht. Es sind viereinhalb Meter bis hinunter zu dem geborstenen Zement der Seitengasse, und mein bester Landeplatz ist eine freie Stelle zwischen ein paar Mülltonnen und einem Belüftungsgitter. Aus der Ferne ertönt das Geräusch einer Sirene, doch ich glaube nicht, dass die Feuerwehr mit ihren Rettungsarbeiten in dieser Seitengasse anfangen wird. Ich muss nach unten, und es gibt nur diese eine Möglichkeit.
Ich klettere über das Geländer und lasse mich so weit herab, bis ich an ausgestreckten Armen vom Rand der Plattform baumele. Ich bin mit ausgestreckten Armen gut zwei Meter groß, was den Sturz auf etwas über zwei Meter verkürzt. Keine großartige Leistung für einen Fallschirmspringer, doch rein zufällig bin ich keiner. Einmal bin ich in North Carolina aus einem Helikopter gesprungen, als ich eine Übung der Army
Weitere Kostenlose Bücher