Infernal: Thriller (German Edition)
Meilen, das Englisch versteht, und man lebt in einer Hölle, die niemand anderes sehen kann. Es ist eine Einsamkeit, die oft an Verzweiflung grenzt.«
»Aber Vietnam war nicht so. Vietnam platzte aus allen Nähten vor Amerikanern.«
»Dad hat in vielen anderen Gegenden gearbeitet. Wenn ich herausfinde, dass er noch lebt – oder dass er eine Weile überlebt hat –, werde ich mich mit dieser Frage beschäftigen.«
»Sie sagten, Sie hätten nie gespürt , dass Ihr Vater tot wäre. Was ist mit Jane? Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Schwester tot ist?«
»Ich habe es gespürt. Zwölf Stunden bevor ich den Anruf erhielt.«
»Also teilten Sie beide die Art von intuitiver Verbindung, von der viele Zwillinge sprechen?«
»Wir teilten diese Verbindung, trotz unserer Verschiedenheit. Meiner Meinung nach ist sie eine sehr reale Sache.«
»Das stelle ich nicht in Abrede. Sie waren höchst kooperativ, Jordan, und ich weiß das zu schätzen. Ich denke, wir könnten eine Menge Zeit sparen, wenn Sie mir nun einfach beschreiben, was Ihrer Meinung nach die folgenschwersten Augenblicke in Ihrem Leben als Zwillinge waren.«
»Ich erinnere mich nicht an einen besonders folgenschweren Augenblick.«
Lenz’ Augen wirken weich, doch unter der Oberfläche verbirgt sich eine Härte, sogar Grausamkeit, die nun hervorbricht. Vielleicht ist sie für diese Art von Arbeit erforderlich.
»Das ist keine Psychotherapie, Jordan. Wir haben nicht wochenlang Zeit, um uns durch Ihre Verteidigungsmechanismen zu arbeiten. Ich bin sicher, dass Ihnen gewisse Ereignisse einfallen, wenn Sie angestrengt nachdenken.«
Ich sage nichts.
»Beispielsweise ist mir beim Studium Ihrer Akte aufgefallen, dass Sie nie die High School abgeschlossen haben. Jane hingegen hat mit Auszeichnung bestanden und an allen möglichen außerschulischen Aktivitäten teilgenommen. Sie war bei den Cheerleadern, bei den Debattierclubs et cetera. Sie haben nichts von alldem gemacht.«
»Ihr Typen grabt wirklich tief, wie?«
»Ich habe außerdem herausgefunden, dass Sie die besten Ergebnisse in der Hochschuleignungsprüfung Ihrer Schule hatten. Also«, er verschränkt die Arme vor der Brust und hebt die Augenbrauen, »warum sollte so eine gute Schülerin abgehen?«
Der kleine Jet scheint plötzlich noch enger zu werden. »Hören Sie, ich verstehe nicht, wie Fragen über meine Schulzeit Ihnen beim Verständnis meiner Schwester weiterhelfen könnten.«
»Was dem einen Kind widerfährt, geschieht auch mit dem anderen. Denken Sie zurück. Sie beide sind zwölf Jahre alt. Ihr Vater ist gestorben, Ihre Mutter kommt nicht zurecht, es ist kein Geld da, um das Lebensnotwendige zu kaufen. Sie sind Zwillinge, Sie haben die gleichen Lehrer – und doch entwickeln Sie sich gegensätzlich. Was steckt dahinter?«
»Sie haben es selbst zusammengefasst, Doktor. Lassen Sie uns über etwas reden, das Ihnen vielleicht wirklich weiterhilft, Janes Killer zu finden. Das ist doch der Plan, oder?«
Lenz beobachtet mich. »Sie sind Fotografin. Sie benutzen Filter, um bestimmte visuelle Effekte zu erzielen, nicht wahr? Um das Licht zu modifizieren, bevor es auf den Film trifft.«
»Ja.«
»Menschliche Wesen benutzen ähnliche Filter. Emotionale Filter. Sie werden von unseren Eltern eingesetzt, unseren Geschwistern, unseren Freunden und Feinden. Räumen Sie das ein?«
»Schätze ja.«
»Daniel und ich beabsichtigen, Sie für eine kritische Mission in diesem Fall einzusetzen. Bevor wir Sie mit einem Verdächtigen in Kontakt bringen, muss ich Sie verstehen. Ich muss in der Lage sein, Ihre speziellen Filter mit in die Rechnung einzubeziehen.«
Ich blicke aus dem Fenster zu meiner Linken. Das Mondlicht ist nicht hell genug, um die Wolken zu erkennen. Wir könnten fünftausend oder auch fünfunddreißigtausend Fuß hoch fliegen. Und genauso fühle ich mich in Relation zu meiner Vergangenheit und meiner Zukunft. Ohne Halt, ohne Anker schwebend zwischen dem Unbekannten und dem nur allzu Vertrauten. Lenz will meine tiefsten Geheimnisse. Warum? Psychiater sind wie Fotografen im Grunde genommen Voyeure. Doch ein paar Dinge gehen nur mich allein etwas an und niemanden sonst. Nicht einmal Gott, wenn ich es irgendwie verhindern kann. Trotzdem spüre ich die Verpflichtung zur Kooperation. Lenz ist der Profi auf diesem Gebiet, nicht ich. Und er vertraut darauf, dass ich seine Ermittlungen nicht behindere. Ich schätze, ich muss ihm vertrauen, zumindest ein wenig.
»Die Jahre nach dem Verschwinden meines
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