Infernal: Thriller (German Edition)
genau wie ihre Mütter.«
»Eine Art Vermächtnis«, sagt Lenz.
»Was auch immer. Jane glaubte jedenfalls, sie hätte eine Chance. Sie dachte, ich wäre das einzige Hindernis für ihre Aufnahme. Sie behauptete, aktive Chi-O’s hätten mich auf dem Fahrrad in der Gegend von Oxford gesehen. Ich hätte verlottert ausgesehen und schlimme Sachen gesagt, und sie hätten geglaubt, dass ich Jane war. Vielleicht stimmt es sogar. Die Wahrheit ist, Jane hatte nie eine Chance. Diese Miststücke hätten sie um nichts in der Welt bei sich aufgenommen. Ihr Dünkel rührt daher, dass sie Mädchen wie Jane, die sich so sehr nach einer Aufnahme sehnen, aber in ihren Augen nicht gut genug sind, bewusst ausschließen . Und Jane hatte gleich mehrere Makel. Sie besaß kein Geld – und deswegen keine angesagten Klamotten, keinen schicken Wagen und nichts von all dem anderen Zeugs –, ihr Vater war zwar eine Berühmtheit gewesen, aber nicht von der richtigen Sorte, und zu guter Letzt war da auch noch ich. Jane war hübscher als alle anderen, was die Sache weiter erschwerte. Man hört immer, Schönheit hätte ihren eigenen Adel, doch das stimmt nicht. Viele durchschnittlich attraktive Frauen fürchten wirkliche Schönheit.«
»Interessant, nicht wahr?« Lenz’ Augen gleiten auf merkwürdige Weise über meinen Körper, nicht lüstern, eher kalt und abschätzend. »Und Jane brach nach dem Skandal wegen Ihnen und Ihrem Lehrer zusammen?«
»Sie wollte das Haus nicht mehr verlassen. Erst als die Überlegungen anfingen, uns zu Mündeln des Jugendamts zu machen, ging sie wieder zur Schule. Sie machte ihren Abschluss mit Auszeichnung, doch sie wurde nie bei der Chi-O aufgenommen. Sie bewarb sich einige Zeit später bei der Delta-Gamma, die zwar als akzeptabel gilt, aber definitiv zweite Wahl ist.«
»Sie haben erwähnt, wie schön Jane war. Sie sind ihr eineiiger Zwilling. Was empfinden Sie in Bezug auf Ihr eigenes Aussehen?«
»Ich weiß, dass ich attraktiv bin. Aber Jane hat ihr Aussehen auf eine Weise kultiviert, wie ich es nie getan habe. In Südstaaten-Richtung, wissen Sie? Es ist eine merkwürdige Sache, die sich bis auf den Charakter erstreckt. Für mich ist Aussehen zweitrangig. Ich habe mein Aussehen benutzt, um mir Vorteile bei meiner Arbeit zu verschaffen – ich wäre dumm, wenn ich das nicht täte –, doch ich habe mich dabei eigentlich stets unbehaglich gefühlt. Schönheit ist ein genetischer Zufall, für den ich absolut nichts kann.«
»Das ist unaufrichtig, um es gelinde auszudrücken.«
Ich muss lachen. »Sie sind ein Mann, oder? Sie wissen nicht, wie oft ich mir das Gejammer meiner Mutter anhören musste, wie viel ›Potenzial‹ in mir stecken würde. Dass ich etwas aus mir machen müsse, mich nur ein wenig schminken – wie Jane, wollte sie damit sagen –, und bestimmt würde ich einen wunderbaren Versorger finden, der mich heiraten und sich für den Rest meines Lebens um mich kümmern würde. Wach auf, Mutter. Ich brauche keinen gottverdammten Versorger, kapiert? Ich bin selbst einer.«
»Und wen versorgen Sie, Jordan?«
»Mich selbst.«
»Ich verstehe.« Lenz blickt auf seine Uhr, dann klopft er auf seine Knie. »Jane hat einen wohlhabenden Anwalt geheiratet?«
»Das ist richtig.«
»Kommen wir zum Verschwinden Ihrer Schwester. Sie kamen nicht gut damit zurecht, trifft das zu? Aus unseren Akten geht hervor, dass Sie sich in die Ermittlungen eingemischt haben?«
»Ich vertrage es nicht, ausgeschlossen zu werden, okay? Ich bin Journalistin. Jane war meine Schwester. Und das FBI kam überhaupt nicht voran mit den Ermittlungen. Ich piesackte Ihre Kollegen, bis ich die Namen der Familien der anderen Opfer bekam, ich zog auf der Straße Erkundigungen ein, ich benutzte meine alten Kontakte bei der ›Times-Picayune‹. Nichts von alldem brachte etwas Neues zutage.«
»Und dann? Was haben Sie dann gemacht?«
»Aufgehört und mich in meiner Arbeit vergraben. Buchstäblich. Ich ging nach Sierra Leone. Ich nahm irrsinnige Risiken auf mich und bin ein paar Mal nur haarscharf davongekommen. Meine Agentur bekam Wind davon. Sie bettelten mich an, vorsichtiger zu sein, langsamer zu machen, und ich kam ihrer Bitte nach. Ich machte so viel langsamer, dass ich nicht mehr aus dem Bett kam. Ich schlief rund um die Uhr. Als das endlich vorbei war, konnte ich überhaupt nicht mehr schlafen. Ich musste verschreibungspflichtige Medikamente nehmen, damit ich die Augen schließen konnte, ohne Bilder zu sehen, wie Jane mit
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