Infernal: Thriller (German Edition)
später wurden wir ein Liebespaar.«
»Wie alt war er?«, fragt Lenz.
»Sechsundzwanzig. Ich war siebzehneinhalb. Eine Jungfrau. Wir wussten beide, dass es gefährlich war, doch es war nicht so, als verführte er ein unschuldiges Kind. Ja, in meinem Leben war eine Leere wegen meines toten Vaters, und ja, er war ein mitfühlender älterer Mann. Doch ich wusste genau, was ich tat. Er lehrte mich eine Menge über die Welt. Ich entdeckte eine Menge über mich selbst, über meinen Körper und das, was ich damit tun konnte. Für mich und jemand anderen. Und ich gab einem Mann ein wenig Frieden, der so sehr zerbrochen war, dass er sich nie wieder davon erholen würde. Ich konnte nur seine Schmerzen ein wenig lindern.«
»Erstaunlich, dass Sie beide sich fanden«, sagt Lenz ohne eine Spur von Verurteilung in den Augen. »Aber es nahm kein gutes Ende, nehme ich an?«
»Es gelang uns, unsere Beziehung fast ein Jahr lang geheim zu halten. Während dieser Zeit öffnete er sich mir, und ich erfuhr Dinge über Vietnam, die mein Vater ebenfalls gesehen haben musste. Gesehen hatte, ohne in seinen Briefen darüber zu schreiben. Oder Bilder zu schicken. Im April sah einer von Davids Nachbarn, wie wir uns am Flüsschen hinter seinem Haus küssten und mein Hemd bis zum Bauchnabel offen stand, und er hatte nichts Besseres zu tun, als es der Schulleitung zu melden. Die berief unverzüglich eine Konferenz ein und stellte David ein Ultimatum, seine Stellung zu kündigen und die Stadt zu verlassen, bevor eine Untersuchung eingeleitet würde, die unser beider Zukunft zerstört hätte. Um ihn zu schützen, stritt ich alles ab. Es half nichts. Ich wollte mit ihm die Stadt verlassen, doch er sagte, es wäre mir gegenüber nicht fair. Letzten Endes würden wir nicht zusammenpassen, sagte er. Als ich ihn nach dem Grund fragte, antwortete er, dass ich etwas hätte, was er nicht mehr besäße. ›Was?‹, fragte ich.«
»Eine Zukunft?«, spekuliert Lenz.
»Genau. Zwei Nächte später ging er hinunter zum Flüsschen und schaffte es doch tatsächlich, sich zu ertränken. Der Coroner nannte es einen Unfall. David hatte genügend Scotch intus, um einen Stier zu betäuben.«
»Das tut mir Leid.«
Meine Augen suchen erneut das Fenster, ein rundes Loch aus Nacht. »Ich rede mir immer wieder ein, dass er bereits bewusstlos war, als er unterging. Er dachte wahrscheinlich, sein Tod würde den Skandal beenden, doch es wurde nur noch schlimmer. Jane hatte einen Nervenzusammenbruch wegen der gesellschaftlichen Peinlichkeit. Meine Mutter trank einfach noch mehr. Es gab Überlegungen, uns in Pflegefamilien zu stecken. Mit hoch erhobenem Kopf kehrte ich zur Schule zurück, doch es half nichts. Mein Star Student Award wurde mir aberkannt. Dann bekam ich keine Verabredungen mehr. Niemand wollte mehr Familienporträts von mir schießen lassen. Ich hatte eine Menge Bilder von den Abschlussklassen gemacht, doch die Leute kamen nicht, um die Abzüge anzusehen. Sie ließen sich woanders noch einmal fotografieren. Als ich mich weigerte, demütig Reue zu zeigen, gingen verschiedene Mütter zur Schulleitung und sagten, sie wollten nicht, dass ihre Töchter mit einer Jezabel, einem verdorbenen Teenager wie mir, gemeinsam zur Schule gingen. Es dauerte nicht lange, bis die allgemeine Ächtung auch Jane erfasste. Sie wurde auf der Straße von Passanten geschnitten, die glaubten, mich zu sehen. An diesem Punkt tat ich, was David hätte tun sollen. Ich hatte dreitausend Dollar auf der Bank. Ich nahm zweitausend, packte meine Sachen und die Kameras und stieg in den Bus nach New Orleans. Ich suchte mir einen Richter, der mich für volljährig erklärte, und fand einen Job im Entwicklungslabor der ›Times-Picayune‹. Ein Jahr später war ich Fotografin und fest angestellt.«
»Haben Sie Ihre Familie weiterhin finanziell unterstützt?«
»Ja. Aber die Beziehung zwischen Jane und mir wurde immer schlimmer.«
»Warum?«
»Sie war besessen von der Vorstellung, zur Chi-O zu gehen. Sie glaubte ...«
»Entschuldigen Sie – zur was?«
»Zur Chi-Omega. Das ist eine studentische Verbindung. Der Höhepunkt des Südstaaten-Frauendaseins an der Ole Miss. Blauäugige Blondinen, die mit silbernen Löffeln im Mund großgezogen werden. Sie kennen doch diesen Song, ›Summertime‹? › Your Daddy is rich, Your Mama good-looking ... ‹?«
»Ah.«
»Einige ihrer Cheerleader-Freundinnen waren bereits Anwärterinnen für die Chi-O. Die Schwestern dieser Freundinnen waren Mitglieder,
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