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Inferno - Höllensturz

Inferno - Höllensturz

Titel: Inferno - Höllensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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Cassie nicht heraus.
    »Hat es gestunken? Wie ein verrotteter Leichnam?«
    »Ja!«
    Angelese nahm einen der Mondsteine aus dem Wandleuchter und leuchtete damit wie mit einer Taschenlampe.
    »Himmelherrgott!«, entfuhr es Cassie.
    An der Ecke vor ihnen stand eine dürre Gestalt. Ein Skelett mit einem Flickwerk aus Leichenhaut über den Knochen. Keine inneren Organe, keine Muskeln oder Sehnen waren erkennbar, nur buttermilchweiße Haut, die straff über die Knochen gespannt war. Die leeren Augenhöhlen blickten sie direkt an, sie sahen sie.
    Das Wesen stand einfach nur da und hielt eine knochige Hand hoch wie ein Straßenpolizist, der den Verkehr regelt.
    »Das ist aber wirklich eigenartig«, bemerkte der Engel.
    »Stimmt, ein bescheuertes Skelett gibt hier den Schülerlotsen. Das nenn ich mal echt eigenartig.«
    »Nein, das meine ich nicht. Nekrotiker werden von Animationszaubern animiert und von satanischer Rache getrieben. Er sollte uns längst angegriffen haben. Stattdessen steht er einfach nur da und versperrt uns den Weg.«
    Bruchstücke von Sprache kullerten aus dem verfaulten Loch, das den Mund der Kreatur darstellte: »Geht fort. Kehrt um und verlasst das Labyrinth. Bitte.«
    Cassie packte Angelese am Arm. »Vielleicht sollten wir genau das tun. Ich meine, immerhin hat er ›bitte‹ gesagt.«
    »Das können wir nicht, Cassie. Wir sind aus einem bestimmten Grund hier. Wir müssen herausfinden, was deine Mutter uns nicht sagen wollte. Wenn wir das nicht schaffen, wird unsere ganze Mission scheitern.« Angelese warf ihr einen fragenden Blick zu. »Wo ist all deine ätherische Zuversicht geblieben? Du tust ja beinahe so, als hättest du Angst im Dunkeln.«
    »Hab ich ja auch!«, murmelte Cassie.
    Vor ihnen tauchte ein zweiter Nekrotiker auf und stellte sich neben den ersten. Auch er hielt eine verweste Hand hoch.
    »Ich versteh das einfach nicht«, fuhr Angelese fort. »Sie benehmen sich, als hätten sie Angst vor uns. Aber eigentlich sind sie gar nicht fähig zu solchen Gefühlen wie Furcht, nur zu Zorn. Sie können nicht getötet werden, und wir sind doch nur zu zweit. Wovor zum Teufel haben sie also Angst?«
    »Ich weiß es nicht, und ich will es auch gar nicht wissen. Das hier ist mir nicht geheuer. Es muss einen anderen Weg nach drinnen geben.«
    »Nein, es gibt nur diesen einen.«
    »Wieso sehen wir uns nicht mal die Rückseite des Gebäudes an? Ich könnte mit meiner Psychokinese eine Wand niederreißen, und wir gehen einfach rein.«
    »Die Wände sind hier alle durch einen Sicherungshex geschützt. Nicht einmal das stärkste Ätherkind kann sie einreißen. Aber ich glaube, ich weiß jetzt, wovor die Nekrotiker Angst haben.«
    »Und zwar?«
    »Vor dir. Du bist ein Wesen der Unschuld an einem Ort, an dem keine Unschuld existiert. In ihrem ewigen Tod spüren sie deine lebendige Seele. Etwas wie dich haben sie noch niemals gesehen; sie sind einfach nicht an ein solches Wesen gewöhnt.«
    Cassie zuckte zusammen. »Soll mir das etwa Mut machen? Ich weiß nicht, was ich tun soll. Sag du es mir.«
    »Versuch, irgendwas auf sie zu projizieren.«
    Na schön , dachte Cassie. Denk nach. Wenn ich eine reanimierte Leiche wäre, wovor hätte ich dann Angst? Kurze Pause. Ich hab eine Idee …
    »Äschert euch ein!«, brüllte sie den Korridor hinab.
    Der Ruf verwandelte sich in einen Keil zischender Flammen – weiß-blau glühend, die den schmalen Gang hinuntersausten, bis sie am Ende auf die beiden knochigen Gestalten trafen. Dort schwebte das Feuer in der Luft und umschlang die Nekrotiker knisternd mit einer Hitze, die so stark war, dass Cassie sich davon das Gesicht versengte. Auf beiden Seiten des Ganges wurden die schwarzen Steinwände zu rot glühenden Ofenkacheln.
    Als das Feuer wieder erstarb, sagte Cassie: »Scheiße.«
    Die Nekrotiker waren unversehrt geblieben, unverbrannt, und sie hielten die Hände immer noch erhoben.
    »Das kannst du laut sagen«, bestätigte Angelese.
    Das hier hat vorher schon mal geklappt, vielleicht funktioniert es wieder , dachte Cassie und schrie: »Ohne Knochen!« Verdammt, sie bestehen doch praktisch nur aus Knochen. Sie wiederholte es. »Ohne Knochen, ohne Knochen, ohne Knochen!«
    Nichts passierte.
    »Ohne Arme! Ohne Beine! Sofort!«
    Ihr Rufe erzielten keinerlei Wirkung.
    »Du versuchst, ihnen etwas wegzunehmen«, überlegte Angelese. »Doch sie sind fleischlose Skelette; symbolisch betrachtet kann man ihnen nichts mehr wegnehmen …«
    Als der Engel das ausgesprochen hatte,

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