Inferno - Höllensturz
war die knappe Antwort.
Cassie zog sich ihren Bademantel an; bald würde jemand vorbeikommen und sie in die Dusche begleiten. Nun war sie trotz ihrer Verunsicherung fasziniert. »Dein Geist war schon in der Hölle?«
»Meine Seele, ja.«
»Aber dein Körper nicht?«
»Nein.«
»Warum nicht? Warum schickt Gott nicht einfach all seine Engel da runter und schmeißt Luzifer raus?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
Cassie sah sich im Zimmer um und versuchte herauszubekommen, woher die Stimme kam. Das ist wahrscheinlich totaler Schwachsinn. Hier drin sind Lautsprecher versteckt und irgendein Arsch lacht sich gerade über mich krank.
Doch wenn das der Fall wäre, was hatte sie dann letzte Nacht gesehen? Wenn jemand sie verarschen oder gar ihr einreden wollte, sie sei geisteskrank, wie konnte er diese Spiegelung in dem Wasser in ihren Händen fabrizieren?
»Du weißt, dass ich kein Traum bin, Cassie, und du weißt auch, dass ich kein Trick bin«, hörte sie jetzt wieder Angeleses Stimme. »Das weißt du doch, oder? Und auch, dass du wirklich und wahrhaftig eine Tochter des Äthers bist?«
»Ja, schon«, musste Cassie zugeben.
»Gut, denn wenn du das nicht wüsstest, hätten wir noch einen langen Weg vor uns, und dazu fehlt uns die Zeit.«
»Die Zeit?« Cassie schüttelte frustriert den Kopf. »Hör mal, das ist mir wirklich alles zu viel. Ich kann das nicht.«
»Was kannst du nicht?«
»Was? Mit einer Stimme ohne Körper sprechen. Vielleicht bin ich ja komisch, aber wenn ich mit jemandem spreche, sehe ich ganz gerne sein Gesicht auch vor mir. Können wir nicht diese Sache von gestern wiederholen? Wie hieß das noch?«
»Übertragungszauber«, erinnerte Angelese sie. »Warten wir noch eine Minute, dann können wir einen viel besseren Zauber machen.«
»Wo?«
»In der Dusche. Der Wärter kommt gleich.«
Noch mehr Frust. »Woher weißt du …«
Dreimal wurde energisch an die Tür geklopft. »Hey, Cassie, ich bin’s, R.J. Kann ich reinkommen?«
Cassie legte die Stirn in Falten und zog den Bademantel fester um sich. »Kannst kommen.«
Das Schloss rasselte, als aufgeschlossen wurde. R.J. kam lächelnd herein, seine Notre-Dame-Kappe aus der Stirn hochgeschoben. »Zeit für die gute alte Körperpflege-Einheit.«
»Ja, ich weiß, und danach kommt die Nahrungseinheit, stimmt’s?«, fragte Cassie spöttisch. »Warum könnt ihr Psycho-Spacken das nicht einfach Frühstück nennen?«
»Weil Nahrungseinheit auf der Rechnung therapeutisch wertvoller klingt.«
Cassie folgte ihm aus dem Zimmer, ihre Flipflops schlappten auf dem Fliesenboden. Eine der Lebensversicherungen ihres verstorbenen Vaters deckte die Rechnungen hier ab, unter der Aufsicht seiner Testamentsvollstrecker, einer Bande von Anwälten in D.C.
»Wie fühlst du dich?«, fragte R.J. Er war groß, breitschultrig und sein Schatten wirkte riesig, als sie hinter ihm her ging.
»Wie ich mich fühle?« Sie konnte sich den spöttischen Unterton nicht verkneifen. »Wie eine geistig vollkommen gesunde Frau, die gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Privatklinik festgehalten wird, nur weil jemand ihre Rechnungen pünktlich bezahlt.«
»Das ist die richtige Einstellung«, kicherte R.J. »Hast du gut geschlafen?«
»Nein.«
»Alpträume?«
»Ja.«
»Vom Selbstmord deiner Schwester?«
»Nein.«
Der liebenswürdige Assistenzarzt sah sie über die Schulter hinweg an. »Du weißt doch, ich bin psychologisch hoch qualifiziert.«
»Wirklich? Nicht einfach ein Notre-Dame-Fan?«
»Ich bin auch ein Fan der Cincinatti Reds. Aber du sollst ja auch was für das viele Geld bekommen, das die Testamentsvollstrecker hinlegen. Ich könnte ja deine Alpträume für dich deuten. Und du kannst dann über die Deutung nachdenken. Das nennt man Psychotherapie.«
»Du willst wirklich wissen, worum es in meinen Alpträumen geht?«
»Klar.«
»Ich hab davon geträumt, wie ich den Schwefelzug von der Tiberiusstation im Äußeren Sektor zum Pogrom Park genommen habe. Das ist in der Nähe des Promenaden-Viertels der Mephistopolis. Im Zug hab ich ein Mädchen gesehen, das gerade ein Mischlingsbaby mit Fangzähnen und Hörnern auf der Stirn zur Welt gebracht hat. Als der Kopf endlich draußen war, hat mich das Ding angesehen und gebellt wie ein Hund. Ich bin in mein Abteil zurückgerannt, als das Baby ganz rauskam und anfing, an der Brust seiner Mutter zu nuckeln.«
»Und du glaubst das.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Ja. Ich war dabei. Ich hab’s
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