Inferno - Höllensturz
die Bibliothek, doch die Straße entstammte einer anderen Welt. Sogar ein Straßenschild stand schief an einer Ecke. Sie konnte die Aufschrift erkennen: DAHMER-ALLEE.
Wie ferngesteuert trugen ihre Beine Penelope die Straße hinunter. Sie sah ihr eigenes entsetztes Spiegelbild in den unterschiedlichen Schaufenstern, als sie vorbeirannte. FLEISCH stand da in einem Fenster. UNSER ANGEBOT HEUTE: GHUL, TROLL. Das Wort MENSCH stand auch dort, war aber mit einem X durchgestrichen. Gebratene Dämonenköpfe hingen verkehrt herum an Haken im Schaufenster. Im Laden kurbelte ein Mann, dem das halbe Gesicht fehlte, seelenruhig einen Fleischwolf, die Metzgerschürze mit Blut in absonderlichen Farben beschmiert. Im nächsten Schaufenster stand VERGEWALTIGUNGSKLINIK. Penelope nahm an, es war eine Art Beratungsstelle. Diese Vermutung musste sie rasch revidieren, als sie durch die Scheibe sah und drinnen Dämonen in eleganten Anzügen Schlange stehen sah. Eine angekettete Impin wurde der Reihe nach auf dem Boden von einer ganzen Truppe sabbernder, buckliger Kreaturen vergewaltigt. Noch mehr Schilder entdeckte sie durch den Rauch, die Fenster waren von den merkwürdigsten Lichtern erleuchtet. HEX-KLONE, ZUGELASSENER ALOMANT, BLUTALCHEMIST. Das letzte Fenster an der Ecke verkündete HAUTSCHNEIDER, doch Penelope sah nicht hinein.
Sie wusste immer noch nicht, warum sie überhaupt rannte, aber sie lief trotzdem weiter. Ihr Verstand versuchte überhaupt nicht zu ergründen, durch welchen Umstand diese verwünschte Stadt in denselben Raum gequetscht worden war, den eigentlich die Landkartenbibliothek beanspruchte. Eine Frage aber ging ihr nicht aus dem Kopf: Wo hört das auf? Als sie um die nächste Ecke bog, wartete dort schon die Antwort auf sie.
Eine weitere dampfende Straße erstreckte sich vor ihr, doch nur etwa einen halben Block lang. Dann brach sie abrupt ab. Jenseits davon konnte sie den stillen, vom Mond beschienenen Hügel sehen, der von der Bibliothek hinabführte. Sie wollte gerade losrennen, da …
»Helfen Sie mir«, flehte sie eine Stimme an. »Bitte …«
Scheiß drauf , entschied Penelope. Der einzige Mensch, dem sie in diesem Moment helfen würde, war sie selbst – indem sie von diesem höllischen Ort abhaute. Doch da lag etwas in dieser Stimme. Es war eine Frauenstimme, und sie …
Penelope blickte in die schmale Gasse, aus der das Flehen gekommen war. Ein schweres Metall-Transparent schlug gegen die Backsteinmauer: THE BURNING BABIES, NUR EIN AUFTRITT! LIVE IM BLOODSUCKERS BALLROOM. Gegenüber hatte jemand mit Kreide geschrieben: GOTT, BITTE NIMM MICH ZURÜCK, ein anderer hatte daneben gekritzelt: HALT BLOSS NICHT DIE LUFT AN!
Die Gasse stank, wie alles sonst auch. Trotz ihrer Angst musste Penelope stehen bleiben.
Die Stimme kam ihr irgendwie bekannt vor.
»Bitte helfen Sie mir«, wiederholte die Stimme. »Ich wurde von einem Dämonenfürsten vergewaltigt und geschlagen.«
Penelope machte einen Schritt in die Gasse. O ja, diese Stimme war ihr vertraut. Eine nackte Frau saß zusammengekauert in der Ecke und streckte die Arme aus.
»Wer sind Sie?«, fragte Penelope mit bebender Stimme. »Gehören Sie auch zu den Wachleuten?«
Ein Kichern – ein vertrautes Kichern – und urplötzlich sprang die Frau hoch und packte Penelope; und jetzt wusste sie auch, warum ihr die Stimme so bekannt vorkam.
Es war ihre eigene Stimme, die mit ihr gesprochen hatte.
Und nun wurde Penelope angegriffen … von sich selbst.
Die nackte Frau, die exakt so aussah wie sie, grinste. Na ja, sie sah nicht wirklich exakt so aus wie Penelope, denn Penelope hatte weder Fangzähne noch waren ihre Augen leuchtend rot mit weißer Iris. Penelope hatte auch keine vier Gelenke an jedem Finger und keine Krallen anstatt Fingernägeln. Und noch eine Sache fehlte Penelope, die ihre bösartige Kopie hatte: ein Penis.
Sie schrie, als sie hinuntergezogen wurde. Perfekte Imitate ihrer eigenen Brüste schaukelten vor ihrem vor Entsetzen verzerrten Gesicht, und der Penis ihres Peinigers – mehr dämonisch als menschlich, denn er war so grau wie Birkenrinde, mit ebensolcher Oberfläche, und hatte eine umgestülpte Eichel, eher wie ein Saugnapf als eine Kuppe – stieß ihr aufdringlich gegen den Bauch. »Ich werd ihn dir ordentlich reinstecken, Süße«, versicherte der Klon in ihrer eigenen Stimme. »Sag hallo zu meinem Mr Bumpy.«
Die Hüften des Klons schoben sich zwischen Penelopes Beine. Sie trat um sich und schrie weiter – alles völlig
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