Inferno - Höllensturz
Gedichte! Sein Kopf tickte wie eine Bombe. Geh einfach zurück ins Wohnheim und bring es zu Ende! , gab er sich selbst einen guten Rat. Tu es einfach. Sei nicht immer so ein elender Feigling. Tu es. Aus irgendeinem Grund jedoch musste er wieder an den bösen Traum denken, an das hübsche Mädchen Namenlos. Als er sie gefragt hatte, ob er sich umbringen sollte, hatte sie einfach geantwortet: »Ich kann dir keinen Rat geben.« Aber sie hatte auch noch etwas anderes gesagt. Ich bin eine Vorahnung. Die Zukunft ist nicht veränderbar. Natürlich war sie nichts anderes als ein Zeichen seines Unterbewusstseins, und doch schien es, als wüsste sie bereits, was geschehen würde. Walter glaubte ebenfalls, es zu wissen.
»Ich gehe jetzt zurück ins Wohnheim.« Der gekachelte Raum warf ein Echo. »Und dann tue ich es.«
»Nein«, teilte eine Stimme ihm mit, eigentlich mehr ein Zischen denn eine Stimme. »Tu’s nicht, Walter. Bitte tu es nicht.«
»Warum nicht?«, antwortete er der absurden Stimme.
»Weil du gegen die Vorsehung verstoßen würdest.«
Die Stimme kam von der Kloschüssel her. Walter zuckte nur mit den Schultern, nicht weiter beunruhigt. Das erschien ihm ebenfalls angemessen: Er verlor noch kurz vor seinem Selbstmord den Verstand. Das da war dieselbe Toilette, in der er gerade sein Erbrochenes heruntergespült hatte. Was haben wir denn da? , überlegte er halbherzig. Er sah nach unten.
Da war ein Gesicht in der Kloschüssel und sah ihn durch das Wasser an. Eine Frau. Hatte ihr etwa jemand den Kopf abgeschnitten und ihn da hineingelegt? Nein, die Schüssel war nicht tief genug. Das Gesicht war nicht mehrdimensional; es war nur ein Bild, wie ein Spiegelbild.
»Mach deinem Leben kein Ende, Walter«, sagte das Gesicht im Wasser.
Walter zuckte die Achseln. Reichte das als Beweis für seinen Wahnsinn? Das musste eine Art prä-suizidales Stresssyndrom sein. Er hatte Halluzinationen.
Das Gesicht der Frau war hübsch – auf eine gewisse Art. Hübsch, wenn man mal von der eitergelben Haut absah, von den blutroten Augen, den Vampireckzähnen und den Hörnern, die aus ihrer grazilen Stirn sprossen. Sie lächelte und blinzelte ihn an.
»Wenn du dich umbringst, verpasst du etwas«, erklärte ihm die Teufelsfrau. »Hängt es dir nicht zum Hals heraus, immer alles zu verpassen? Hast du nicht die Nase voll davon, dass alle ständig Spaß haben, nur du nicht?«
Hallus oder nicht, Walter konnte nicht anders, er musste antworten. »Doch. Das hängt mir so zum Hals heraus, dass …« Wieder musste er an Candice denken. Jeder kriegt sie außer mir.
Walter wirbelte plötzlich herum, als er die Tür hinter sich hörte. Sie ging langsam auf, ganz von allein, wie diese automatischen Türen, die es für Rollstuhlfahrer manchmal gab. Nur, dass diese Tür keine automatische Tür war.
Sie schwebte auf.
Herein kam ein Mädchen, eine hübsche junge Studentin – nicht so hübsch wie Candice natürlich, aber … sie war nicht schlecht. Wohlgeformt, brünett, enge Jeans und ein ausgewaschenes FLORIDA IS FOR LOVERS -T-Shirt. Doch sie schien sich gegen irgendetwas zu wehren, als zöge etwas Unsichtbares von hinten an ihr. Oder vielleicht auch umgekehrt, etwas schob sie vorwärts, während sie versuchte, sich rückwärts aus dem Staub zu machen. Walter hatte sie noch nie zuvor gesehen.
»Wer bist du denn?«, fragte er.
Ihr Gesicht wirkte gequält. Sie warf den Kopf hin und her, mit zusammengekniffenen Augen, und knirschte mit den Zähnen. Ja, sie kämpfte eindeutig gegen eine Kraft, die Walter nicht sehen konnte. Aber was war das nur?
»D-du darfst dich nicht – umbringen!«, brach es aus ihr hervor.
»Warum nicht?«
»Sie zwingen mich dazu, das zu sagen.«
Nur ein einziges Mal , dachte Walter. Warum kann ich nicht ein einziges Mal einen normalen Tag haben wie andere Leute auch?
»I-ich-ich werde von Satanischen Konvulsionsnonnen manipuliert!« Die Worte kamen abgehackt über ihre Lippen. Dann bewegte sie sich wieder vorwärts, immer noch wie unter Zwang. Schließlich hatte sie Walter in die Ecke gedrängt. Er konnte sie nur hilflos anstarren.
»T-tu’s nicht. H-h-hier hast du keine Macht, aber d-d-dort drüben wirst du alles haben!«
»Alles? Was denn?«, fragte er.
»M-M-Macht!«
»Ich will keine Macht«, erklärte Walter. Er hatte keinen blassen Schimmer, wovon sie überhaupt sprach.
»Unermesslichen R-R-Reicht-t-tum!«
»Ich will keinen Reichtum.«
»L-L-Liebe!«
Darüber dachte Walter kurz nach.
»Ja, Walter«,
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