Inferno - Höllensturz
begann Sherman. »Ihr seid verzagt. Was kann ich tun, um Eure Verzweiflung zu lindern?«
»Geh runter und lass dich auf dem Platz vierteilen, wo ich es sehen kann.«
Sherman wandte sich zum Gehen.
»Halt.« Luzifer legte den Kopf in die Hände. Versteht denn hier niemand mehr einen Witz? Sie machen alles, was ich sage, nur weil ich sie meinem Willen unterworfen habe. Ist das wirklich Macht?
Nein.
»Soll ich 50 000 Impe herbestellen, damit man sie gesammelt im See ertränkt? Vielleicht würde das Eure Laune bessern.«
Die Vorstellung klang zwar reizvoll, doch selbst der Herrscher der Hölle musste vernünftig bleiben. »Wir brauchen sie noch für das Atrozeum – für die nächste räumliche Verschmelzung.«
»Selbstverständlich.«
Er gab Sherman die beiden Weißen Steine, woraufhin der General sie einem untergeordneten Dämon weiterreichte, der einen Umhang aus Menschenhaut trug.
Die Steine wurden in einen Psychotresor eingeschlossen. Luzifer sah Sherman beinahe so an, wie man einen Freund ansehen würde – allerdings hatte Satan keine Freunde. »Ich will Macht, General. Ich will, was ich seit Äonen verdiene.«
»Das werdet Ihr bekommen, Herr. Bald. Und ich habe gute Neuigkeiten.«
Luzifers schwarz leuchtende Augen weiteten sich.
»Während Ihr fort wart, trafen die Unheiligen Träger ein, gerade vor wenigen Augenblicken.«
War das ein Hoffnungsschimmer, der da im Herzen des Ersten Gefallenen Engels aufleuchtete? »Ist die räumliche Verschmelzung durchgeführt?«
»Ja.«
»War sie erfolgreich?«
»Das haben Eure Manten geschworen, Herr. Sogar mehr als erfolgreich. Es war ein Triumph.«
Luzifer zitterte. »Und Zeihl ist …«
»Er starb von eigener Hand, o Luzifer, so wie er es geschworen hatte.«
Auf Shermans Wink hin kamen Levitatoren in Umhängen und Kapuzen in den Raum. Aufgrund ihrer eigenen Vorschriften in der Konditionierungsakademie hatten sie sich die Füße abgehackt. Nun schwebten sie über die Onyxfliesen, einen abgewetzten Behälter, ähnlich einem kleinen Koffer, hinter sich herziehend. Rote Lichter blinkten außen an dem Koffer, ein elektronisches Schloss.
»Beeindruckende Technologie«, bemerkte Luzifer.
Ein Biomagier Vierten Grades, der einen weißen Umhang trug, trat vor. »Öffnen«, befahl Sherman. Der Hexer warf einen Blick auf das komplizierte Verriegelungssystem und schon ging das Licht aus. Der Koffer öffnete sich.
Bitte, bitte , flehte Luzifer.
»Zeihl ist ein Held der Geschichte«, stieß Sherman hervor. »Er hat das größtmögliche Opfer gebracht, für Euren Ruhm, Herr …«
Ja. Und besser er als ich , dachte der Morgenstern. Er hatte dem Loyalsten aller Gefallenen Engel versprochen, ihn nie zu vergessen, und mit diesem Versprechen würde Luzifer ihn nun für immer vergessen.
Luzifer stand auf und schwebte vor nur mühsam im Zaum gehaltener Freude in der Luft, als er in den Behälter blickte …
III
Walter wachte gegen zehn Uhr abends auf. Er schwamm in seinem eigenen Schweiß, erschöpft von dem bösen Traum, der ihn geplagt hatte. Er hatte den ganzen Tag geschlafen, oder? Nachdem er Zeuge des tödlichen Unfalls geworden war, und nach all den schrecklichen Enthüllungen über Candice, hatten sein Geist und sein Körper einfach abgeschaltet. Er hatte ein paar Kurse verpasst – und wenn schon! Morgen bin ich sowieso tot, also was soll’s? Inzwischen war er sich vollkommen sicher: Ohne Candice gab es keinen Grund für ihn, weiterzuleben.
Allerdings hatte er gehofft, dass es ihm nach dem langen Schlaf wenigstens etwas besser ginge, wenn auch nur oberflächlich. Stattdessen fühlte er sich schwach und ausgelaugt. Mühsam kroch er aus dem Bett und nahm seine Eisenpille, doch davon fühlte er sich auch nie wirklich besser. Vielleicht sollte er etwas essen, doch er wusste, dann müsste er sich nur übergeben.
Ein flüchtiger Blick in den Spiegel zeigte ihm einen dünnen, schlaksigen Achtzehnjährigen mit dunklen Ringen unter den Augen und grell orangefarbenem Haar, das in alle Richtungen abstand. Die Haut war so bleich wie Vanilleeis. Die viel zu große alte Jogginghose hing auf den knochigen Hüften.
»Mann, du bist echt ein Supertyp«, sagte er zu seinem Spiegelbild.
Der Anrufbeantworter blinkte. Lustlos drückte er auf den Wiedergabeknopf.
»Hey, Walter, ich bin’s, Colin. Ich hab länger nichts von dir gehört, also wollte ich mal nachfragen, was bei dir so läuft. Nur sichergehen, dass es meinem Brüderchen gut geht …«
Bitte , flehte Walter
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