Inferno
67
Auf dem Flughafen Tassignano donnerte die Citation Excel des privaten Flugunternehmens NetJets durch schwere Turbulenzen in den Himmel und bog in Richtung Venedig ein. An Bord bemerkte Dr. Elizabeth Sinskey den unruhigen Start kaum; sie strich nur geistesabwesend über ihr Amulett und blickte aus dem Fenster.
Endlich gaben sie ihr keine Spritzen mehr, und Sinskey war schon wieder ein wenig klarer im Kopf. Auf dem Sitz neben ihr schwieg Agent Brüder; vermutlich sann er über die bizarre Wendung nach, die sich vor wenigen Minuten ereignet hatte.
Alles ist auf den Kopf gestellt , dachte Sinskey.
Vor dreißig Minuten hatten sie den winzigen Flugplatz gestürmt, um Langdon abzufangen, bevor er sich an Bord der Privatmaschine begeben konnte. Doch anstelle des Professors hatten sie nur eine wartende Citation Excel und zwei NetJets-Piloten gefunden, die auf dem Asphalt auf und ab liefen und ständig auf ihre Uhren schauten.
Robert Langdon war nicht aufgetaucht.
Und dann war der Anruf gekommen.
Als das Mobiltelefon klingelte, war Sinskey dort gewesen, wo sie schon den ganzen Tag gewesen war: auf dem Rücksitz des schwarzen Vans. Agent Brüder wirkte wie vor den Kopf gestoßen, als er ihr das Handy reichte.
»Ein dringender Anruf für Sie, Madame.«
»Wer ist es?«, fragte sie.
»Ich soll Ihnen nur sagen, dass er Ihnen eine wichtige Information über Bertrand Zobrist zukommen lassen muss.«
Sinskey nahm das Telefon entgegen. »Dr. Elizabeth Sinskey hier.«
»Dr. Sinskey, wir kennen uns nicht, aber meine Organisation hat Bertrand Zobrist das letzte Jahr über vor Ihnen versteckt.«
Sinskey richtete sich im Sitz auf. »Wer zum Teufel auch immer Sie sind, Sie gewähren einem Kriminellen Unterschlupf!«
»Wir haben nichts Illegales getan, aber das ist jetzt nicht …«
»Und ob Sie das haben, verdammt!«
Der Mann am anderen Ende der Leitung atmete tief und geduldig durch, und seine Stimme nahm einen sanften Tonfall an. »Sie und ich, wir werden noch viel Zeit haben, die Moralität meines Handelns zu diskutieren. Sie kennen mich nicht, aber ich weiß einiges über Sie. Mr. Zobrist hat mich großzügig dafür bezahlt, dass ich seine Gegner das letzte Jahr über von ihm ferngehalten habe. Indem ich Sie nun kontaktiere, breche ich mein eigenes strenges Protokoll. Aber ich glaube, uns bleibt keine andere Wahl. Wir müssen unsere Ressourcen bündeln. Ich fürchte, Bertrand Zobrist hat etwas Furchtbares getan.«
Sinskey hatte nicht die geringste Ahnung, wer der Mann war. »Und das ist Ihnen erst jetzt aufgefallen?«
»Das ist korrekt. Erst jetzt.« Die Stimme klang ernst.
Sinskey schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Jemand, der Ihnen helfen will, bevor es zu spät ist. Ich bin im Besitz einer Videobotschaft von Bertrand Zobrist. Er hat mich gebeten, sie zu veröffentlichen … morgen. Allerdings glaube ich, Sie sollten sich das Video schon jetzt ansehen.«
»Was ist das für ein Video?«
»Nicht am Telefon. Wir müssen uns treffen.«
»Warum sollte ich Ihnen vertrauen?«
»Weil ich Ihnen verraten werde, wo Robert Langdon ist … und warum er sich in letzter Zeit so seltsam verhält.«
Bei der Erwähnung von Langdons Namen zuckte Sinskey unwillkürlich zusammen. Erstaunt lauschte sie der merkwürdigen Erklärung. Der Mann am anderen Ende der Leitung war ein Jahr lang der Komplize ihres Feindes gewesen; doch je mehr Einzelheiten sie nun erfuhr, desto dringender riet ihr ihr Instinkt, dem Mann zu glauben.
Mir bleibt keine andere Wahl als mitzuspielen .
Zwar war es schon zu spät, die Behörden vor Ort zu alarmieren, doch der Mann am Handy behauptete zu wissen, wo Langdon hinwollte.
Zum Markusplatz? Sinskey lief ein Schauer über den Rücken, als sie an die Menschenmassen auf Venedigs populärstem Platz dachte. »Woher wissen Sie das?«
»Nicht am Telefon«, wiederholte der Mann. »Nur eines noch: Robert Langdon reist unwissentlich mit einem sehr gefährlichen Individuum.«
»Mit wem?«, verlangte Sinskey zu wissen.
»Mit einem von Zobrists engsten Vertrauten.« Der Mann stieß einen Seufzer aus. »Mit einer Person, der ich einmal vertraut habe, was sehr dumm von mir gewesen ist. Wie auch immer … Inzwischen halte ich diese Person für eine ernste Bedrohung.«
Nachdem Sinskey das Telefonat beendet hatte, war es Brüder nicht schwergefallen, die ›sitzen gelassene‹ NetJets-Maschine zu requirieren. Dann hatten Sinskey und die Soldaten die
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