Inferno
dass die Welt von einem verschwindend geringen Bruchteil der Menschheit regiert wird: den Superreichen. Aber stellen Sie sich einmal vor, dieses eine Prozent wäre auch im wahrsten Sinne des Wortes eine Super rasse – klüger, stärker, gesünder. Das ist genau die Art von Situation, die förmlich nach Dingen wie Sklaverei und ethnischen Säuberungen schreit.«
Sinskey lächelte den gut aussehenden Akademiker an. »Professor, Sie haben schnell erfasst, was ich für den größten Fallstrick der Gentechnologie halte.«
»Na ja, das mag ich vielleicht erfasst haben, aber was Zobrist betrifft, bin ich immer noch verwirrt. Dieses ganze transhumanistische Denken dreht sich um die Verbesserung der Menschheit. Es geht darum, uns gesünder zu machen, tödliche Krankheiten zu besiegen und unser Leben zu verlängern. Und doch scheint Zobrist mit seinen Ansichten zur Überbevölkerung Mord zu tolerieren. Seine Ideen zum Transhumanismus und zur Überbevölkerung beißen sich irgendwie, finden Sie nicht?«
Sinskey seufzte ernst. Das war eine gute Frage. Unglücklicherweise war die Antwort genauso klar wie besorgniserregend. »Zobrist hat zutiefst an den Transhumanismus geglaubt, an die Verbesserung der Menschheit durch Technologie. Allerdings hat er auch schon immer daran geglaubt, dass unsere Spezies ausstirbt, bevor sie die nötige Technologie dazu entwickeln kann. Wenn niemand etwas dagegen unternimmt, so denkt er, dann wird uns die Überbevölkerung umbringen, bevor die Gentechnik ihr Versprechen einlösen kann.«
Langdon riss die Augen auf. »Dann wollte Zobrist also ein wenig ausdünnen … um uns mehr Zeit zu erkaufen?«
Sinskey nickte. »Er hat einmal beschrieben, wie ihm das Ganze vorkommt: ›Ich fahre auf einem Schiff, auf dem die Zahl der Passagiere sich stündlich verdoppelt, und ich versuche verzweifelt, ein Rettungsboot zu bauen, bevor das Schiff unter dem Gewicht der Passagiere sinkt.‹« Wieder zögerte sie. »Er vertritt die Meinung, dass man besser die Hälfte der Leute über Bord werfen sollte.«
Langdon sah sie bestürzt an. »Ein furchterregender Gedanke.«
»Ziemlich. Wir dürfen uns in diesem Punkt nichts vormachen«, erklärte sie. »Zobrist ist felsenfest davon überzeugt, dass man die drastische Reduzierung der Menschheit dereinst als ultimative Heldentat bezeichnen wird. Als den Augenblick, in dem die Menschheit beschlossen hat zu überleben.«
»Wie gesagt … furchterregend.«
»Und das umso mehr, da Zobrist mit diesem Denken nicht allein ist. Durch seinen Tod ist er für viele Menschen zu einem Märtyrer geworden. Ich habe keine Ahnung, auf wen wir in Florenz treffen werden, aber wir müssen sehr vorsichtig sein. Wir sind nicht die Einzigen, die nach diesem Pathogen suchen. Sie dürfen zu Ihrer eigenen Sicherheit keine Menschenseele wissen lassen, dass auch Sie hier in Italien danach Ausschau halten.«
Langdon erzählte ihr von seinem Freund Ignazio Busoni, einem Dante-Spezialisten. Busoni könnte ihn auch außerhalb der Öffnungszeiten für Touristen in den Palazzo Vecchio bringen. Dann könnte er sich in aller Ruhe das Gemälde ansehen, auf dem die Worte cerca trova standen, jene Worte, die Zobrist in seinem Bildrätsel versteckt hatte. Vielleicht würde Busoni Langdon sogar dabei helfen, den seltsamen Satz über ›die Augen des Todes‹ zu entschlüsseln.
Sinskey band sich das lange silberne Haar zurück und sah Langdon an. »Suchen und finden Sie, Professor. Uns läuft die Zeit davon.«
Sinskey ging in einen Lagerraum an Bord und holte einen der sichersten Zylinder der WHO zum Transport gefährlicher Materialien: ein Modell mit biometrischem Siegel. Dann nahm sie das knöcherne Rollsiegel und verstaute es darin. »Ich brauche mal Ihren Daumen«, forderte sie Langdon auf und legte den Behälter auf den kleinen Tisch vor ihm.
Langdon sah sie verwirrt an, streckte ihr aber die Hand entgegen.
Sinskey programmierte den Behälter auf Langdons Daumenabdruck. Ab jetzt konnte nur er allein ihn öffnen.
»Betrachten Sie das als tragbaren Safe«, sagte sie mit einem Lächeln.
»Mit einem Biohazardsymbol?« Langdon wirkte nervös.
»Das ist alles, was wir haben. Aber sehen Sie’s positiv: Das bricht bestimmt niemand freiwillig auf.«
Langdon entschuldigte sich, um sich ein wenig die Beine zu vertreten und auf die Toilette zu gehen. Während er fort war, versuchte Sinskey, ihm den versiegelten Zylinder in die Jackentasche zu stecken. Unglücklicherweise passte er nicht.
Er kann den
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