Inferno
Augen, in denen alle Mysterien der Welt versunken scheinen.
»Zur Hölle mit dem leeren Auditorium«, sagt er. »Gehen wir in die Bar.«
Und dann sind wir da, eine Handvoll von uns, in einer ruhigen Nische, und er spricht von Genetik, Bevölkerungspolitik und seiner neuesten Leidenschaft: dem Transhumanismus.
Alkohol fließt, und ich habe das Gefühl, eine Privataudienz bei einem Rockstar zu haben. Jedes Mal, wenn Zobrist zu mir herübersieht, lösen seine grünen Augen ein unerwartetes Gefühl in mir aus: sexuelle Anziehung.
Das ist völlig neu für mich.
Und dann sind wir allein.
»Danke für diesen Abend«, sage ich zu ihm. Ich bin ein wenig beschwipst. »Sie sind ein fantastischer Lehrer.«
»Schmeichelei?« Zobrist lächelt, beugt sich näher zu mir, und unsere Beine berühren sich. »Mit Schmeichelei erreichen Sie alles.«
Dieser Flirt ist unangemessen, aber es ist eine verschneite Nacht in einem einsamen Hotel in Chicago, und es fühlt sich an, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen.
»Und? Was denken Sie?«, fragt Zobrist. »Nehmen wir noch einen Schlummertrunk auf meinem Zimmer?«
Ich bin wie erstarrt, und ich weiß, dass ich aussehe wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Ich weiß nicht, wie das geht!
Zobrist zwinkert freundlich. »Lassen Sie mich raten«, flüstert er. »Sie waren noch nie mit einem berühmten Mann zusammen.«
Ich spüre, wie ich erröte, und ich kämpfe gegen eine Woge von Gefühlen an: Verlegenheit, Aufregung, Angst. »Um ehrlich zu sein«, sage ich zu ihm, »war ich noch nie mit einem Mann zusammen.«
Zobrist lächelt und rückt näher. »Ich bin zwar nicht sicher, worauf Sie … worauf du gewartet hast, aber bitte, lass mich der Erste sein.«
In diesem Augenblick verschwinden all die sexuellen Ängste und Frustrationen meiner Jugend … sie lösen sich auf in der verschneiten Nacht.
Dann liege ich nackt in seinen Armen.
»Entspann dich, Sienna«, flüstert er. Seine erfahrenen Hände rufen Gefühle in mir hervor, die völlig neu sind für meinen unerfahrenen Körper.
In Zobrists schützenden Armen habe ich endlich das Gefühl, dass alles in Ordnung ist, und ich weiß, dass mein Leben von nun an einen Sinn hat.
Ich habe die Liebe gefunden.
Und ich werde ihr überallhin folgen.
KAPITEL 80
Auf dem Oberdeck der Mendacium krallte Langdon sich an die Reling aus poliertem Teakholz, während er mit seinen weichen Knien kämpfte und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Die Seeluft war abgekühlt, und das Dröhnen der tieffliegenden Passagiermaschinen verriet ihm, dass sie sich dem Flughafen von Venedig näherten.
Es gibt ein paar Dinge, die ich Ihnen über Miss Brooks erzählen muss.
Der Provost und Dr. Sinskey standen neben Langdon an der Reling und schwiegen. Sie behielten ihn aufmerksam im Auge und gaben ihm Zeit, sich zu sammeln. Was sie ihm eben eröffnet hatten, war nicht leicht zu verdauen. Es hatte ihn so aufgeregt, dass Sinskey ihn an die frische Luft gebracht hatte.
Die Meeresbrise war zwar belebend, doch sie half Langdon nicht sonderlich dabei, einen klaren Gedanken zu fassen. Leeren Blickes stierte er auf das Kielwasser des Schiffes und suchte nach einem Fetzen Logik in dem, was er soeben gehört hatte.
Nach den Worten des Provosts waren Sienna Brooks und Bertrand Zobrist schon seit Langem ein Liebespaar. Gemeinsam waren sie in einer Art transhumanistischen Untergrundzelle aktiv. Siennas voller Name lautete Felicity Sienna Brooks, doch sie war auch unter dem Namen FS -2080 bekannt … ein Code, der etwas mit ihren Initialen und dem Jahr zu tun hatte, in dem sie hundert werden würde.
Das alles ergibt einfach keinen Sinn!
»Ich habe Sienna Brooks unter ganz anderen Umständen kennengelernt«, hatte der Provost Langdon erzählt. »Ich habe ihr vertraut. Als sie letztes Jahr zu mir kam und mich bat, mich mit einem potenziellen, wohlhabenden Klienten zu treffen, habe ich zugestimmt. Dieser Klient war Bertrand Zobrist. Er beauftragte das Konsortium, ihn abzuschirmen, damit er unbemerkt an seinem ›Meisterwerk‹ arbeiten konnte. Ich nahm an, er forschte an einer neuen Technologie und hatte Angst vor Produktpiraterie … oder vielleicht führte er Genexperimente durch, die nicht im Einklang mit den Regularien der WHO standen. Ich stellte keine Fragen, aber glauben Sie mir: Ich habe nie auch nur den Hauch eines Verdachts gehegt, er könnte an einem Pathogen forschen.«
Langdon hatte nur verwirrt genickt.
»Zobrist war ein Dante-Fanatiker«,
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