Infinity (German Edition)
loszurennen, wurde übermächtig groß. Zwei Schritte weiter musste die Türklinke sein. Sie tappte mit vorgestreckten Händen darauf zu. Stolperte über etwas Längliches und fiel auf die Knie. Es gab ein dumpfes Geräusch. Und ein Schmerz durchzuckte sie. Mit den Kniescheiben prallte sie gegen etwas Hartes … Knochiges …
Endlich gaben die Augen erste Informationen an ihr Hirn weiter. Der Umriss eines Körpers schälte sich aus der Dunkelheit. Scharf sog sie die Luft ein.
»Lucie! Mach wieder Licht! Schnell!«
Nichts geschah.
»Verdammt, Lucie, das ist nicht witzig!«
Sie warf sich herum. Das war nicht Lucie hinter ihr. Viel zu massig. Viel zu schwarz gekleidet. In einem Reflex ließ sie sich zur Seite rollen. Sie erinnerte sich, wo die Arbeitstische standen. Hechtete auf gut Glück in die Richtung und presste ihren Körper gegen die Rückwand.
Ich muss in Bewegung bleiben! Sonst erwischt er mich!
Sie zog den Arm vor den Körper. In diesem Moment spürte sie einen Stich im Handgelenk. Etwas verfing sich in dem geflochtenen Lederarmband ihrer Mutter – das einzige Schmuckstück, das sie immer trug. Mit dem Schwung ihrer Bewegung schlug sie das Ding von unten gegen die Tischplatte. Ein feiner Splitterregen, gemischt mit Flüssigkeit, ging auf sie nieder. Gleichzeitig flackerten auf dem Gang die Lichter wieder an. Stimmen waren zu hören und das Klirren eines Schlüsselbundes.
Der gedrungene, schwarz gekleidete Mann bewegte sich mit einer unerwarteten Leichtigkeit. Er war durch die Tür, bevor Klara ihn überhaupt bewusst wahrgenommen hatte.
Sie kauerte immer noch unter dem Tisch, als der Strahl einer Taschenlampe über die Wände zuckte. Mit leisem Sirren flammten auch im Labor die Neonröhren wieder auf. Der Mann vom Wachdienst verharrte nur kurz, bevor er sein Funkgerät aus dem Gürtel riss. Kurz darauf füllte sich der Raum mit Menschen. Zwei Sanitäter hoben einen reglosen Körper auf eine Tragbahre. Schwarze Haarlocken fielen über seine geschlossenen Augen.
»Alen!«
Schuhsohlen quietschten über den Plastikboden. Ein Gesicht tauchte vor ihr auf. »Da ist noch jemand!«, tönte eine tiefe Stimme und ein kräftiges Paar Hände zog sie vorsichtig unter dem Tisch hervor.
Das Uhrwerk in ihrem Kopf hörte endlich auf zu ticken. Sie sank nach vorne auf die Knie und weinte.
_ 19 _
Warum hat sie nicht auf mich gehört? Ich weiß, was passiert, wenn man ihnen zu nahe kommt. Ich habe sie doch gewarnt! Ach, Papa. Hättest du es ihnen nicht einfach geben können? Und es gut sein lassen? Du siehst doch selbst, dass sie sich nehmen, was sie haben wollen. Du hast gewusst, worauf du dich einlässt. Du hast dich dafür entschieden, ihnen deine Fähigkeiten zu verkaufen. Wozu das alles, wenn du jetzt nicht zulässt, dass wir es zu Ende bringen?
Es ist doch alles nach Plan verlaufen. Ist sie nicht großartig? So klug und stark und lebendig …
Ich weiß. Noch darf niemand wissen, was wir all die Jahre im Geheimen bewirkt haben. Aber schau sie dir doch an! Was für ein Wunderwerk! Sie ist die Beste. Und ich habe ihr dieses Leben schenken dürfen.
Wir waren schon so nah dran … ja, Papa, mein Traum existiert noch … Wann hast du deinen verraten? Hast du es bereut, dieses eine große Ziel gehabt zu haben? Warum willst du denn keine Leben mehr retten?
Damit werden wir unsterblich, hast du gesagt. Du hast es mir versprochen.
Papa! Du weißt es doch genau. Ohne dich geht es nicht.
Ich habe gut aufgepasst. Natürlich! Aber du hast mir nicht alles gezeigt. Ich habe Angst! Wenn das hier vorbei ist, brauche ich deine Hilfe. Du weißt, wie man mit einem Mädchen redet. Was muss ich sagen, damit sie versteht, was ich mir wünsche? Sag’s mir. Was habe ich von einem Sieg, wenn hinter der Ziellinie niemand auf mich wartet?
Sie wollen ein Endergebnis. Sie werden damit den Markt erobern, sagen sie. Und ich tue alles, was sie von mir verlangen. Der Markt ist mir egal. Das weißt du. Aber du bist es nicht. Und sie … nein, sie dürfen ihr nicht wehtun … dann wäre doch alles umsonst!
»Sagen Sie ihrem Geschäftspartner, dass das gesamte Projekt auf der Kippe steht, wenn die Firma nicht sofort damit aufhört, unsere Probanden zu bedrohen. Ganz abgesehen davon, dass so viel mediale Aufmerksamkeit einem erfolgreichen Abschluss unserer Arbeit nicht zuträglich ist.«
Ich muss stark und kompetent wirken. Sie dürfen nicht merken, dass ich Angst habe.
»Mein Vater und Sie waren doch einmal Freunde. Sorgen Sie dafür,
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