Infinity (German Edition)
manchem Lehrer lieb war. Normalerweise sprudelte er über vor Tatendrang und Ideen. Er konnte doch nicht ohne Bewusstsein in einem Bett liegen und nichts mitkriegen!
Klara schluckte. Obwohl sie einander nicht berührten, spürte sie die Nähe ihrer Mutter. Noch vor ein paar Minuten hätte sie nicht gedacht, wie froh sie sein würde, nicht allein durch die leeren Gänge gehen zu müssen. Sie nahm sich vor, ganz professionell mit der Situation umzugehen. Sie würde sich zu ihm setzen und mit ihm sprechen. Das half angeblich – hatte sie bei Dr. House gesehen. Sie hatte eine Menge Gefühle! Besonders für Jonas. Er würde es merken. Und wenn er wieder aufwachte, würde er sich daran erinnern können, dass sie bei ihm gewesen war.
Es bimmelte leise, als der Aufzug im dreizehnten Stock hielt. Instinktiv schlossen sich Klaras Finger um die Hand ihrer Mutter. Der warme Gegendruck löste ihre Erstarrung. Mit einem tiefen Atemzug setzte sie sich in Bewegung.
1310. 1311. 1312. Suchend glitten ihre Augen über die Plexiglasschilder, die an den Türen angebracht waren. Vor dem Krankenzimmer mit der Nummer 1327 saß ein Mann in Uniform und blätterte in einem Magazin. Als Klaras Schatten auf die glänzenden Seiten fiel, hob er den Kopf.
»Wir möchten zu Jonas Luger. Dürfen wir vorbei?« Klara deutete auf die Tür hinter seinem Rücken.
Doch der Polizist war aufgestanden und machte keine Anstalten, ihnen den Weg freizugeben. »Einen Ausweis bitte. Sind Sie verwandt?«
Klara schüttelte den Kopf. Ein rascher Blickwechsel mit ihrer Mutter zeigte, dass diese ebenso ratlos war wie sie selbst.
»Aber Jonas ist mein Freund! Ich muss zu ihm! Er braucht jetzt jede Zuwendung, die er kriegen kann.« Sie trat von einem Bein aufs andere.
Und ich erst …
Sie versuchte einen verletzten Rehblick, der ihr aber offenbar nicht gelang. Was sie nicht verwunderte. Diesbezüglich fehlte es ihr eindeutig an Übung.
Mit einem bedauernden Kopfschütteln verschränkte der Wachbeamte die Arme vor der Brust und stellte sich noch breitbeiniger vor den Eingang. »Es tut mir sehr leid. Aber ich habe die Weisung, keine Fremden zu dem Patienten vorzulassen.«
Klara spürte, dass eine heiße Welle über Hals und Wangen in ihre Augen strömte. »Bitte … lassen Sie mich hinein. Sie können ja die ganze Zeit dabeibleiben. Damit Sie sehen, dass ich nichts Unerlaubtes tue. Aber ich … ich … ich möchte ihm doch nur zeigen, dass ich für ihn da bin …«
Nur nicht vor dem Polizisten heulen! Sie wischte sich hektisch mit dem Handrücken über die Augen. Doch da streichelte Mamas Hand über ihr Haar und der Damm brach.
»Es tut mir wirklich sehr leid …« Sein Bedauern klang ehrlich. Klara hörte es sogar in ihrem heulenden Elend.
»Das hilft mir aber nicht«, nuschelte sie in die Schulter, an die sie ihr Gesicht gedrückt hielt.
»Guten Abend, Frau Schäfer … Klara, mein Mädchen, du bist auch hier? Nicht weinen … sonst mach ich gleich mit.«
Die rabenschwarzen Gedanken zerstoben. Klara kannte die Stimme, brauchte aber einen Moment, um sie richtig zuzuordnen. Sie hob den Kopf und strich sich die feuchten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sie sah bestimmt schrecklich aus.
Hinter der kleinen pummeligen Statur von Jonas’ Mutter erhaschte Klara einen Blick auf die Tür. Sie stand noch einen Spalt offen und Klara sah sein Gesicht. So bleich. Geschlossene Augen. Ein Schlauch, der aus seinem Mund ragte. Und aus einer Maschine, die am Kopfende stand, tönte regelmäßiges Piepen.
Was haben sie nur mit dir gemacht?
Sie schlug die Hände vor den Mund. So wollte sie Jonas nicht sehen. In so einem elenden Zustand durfte er nicht sein.
»Ich verstehe das auch nicht.« Die Stimme von Jonas’ Mutter zitterte. »Dabei war er doch immer gesund gewesen. Schon als Kind. Nichts hat ihm etwas anhaben können. Wenn die Grippe umging oder die halbe Klasse mit Angina im Bett lag – mein Jonas ist immer davon verschont geblieben. Ich hätte nie gedacht, dass einmal so etwas passiert …« Sie drehte sich nicht um. »Das war bestimmt diese Impfung, die er damals im Krankenhaus bekommen hat. Die hat ihm eine besondere Widerstandskraft verliehen. Der freundliche Arzt hat mir versichert, dass Jonas damit super geschützt durchs Leben gehen wird.« Ein Leuchten breitete sich in dem Gesicht aus, das eben noch vor Kummer ganz grau war. »Er hatte ihn für das neue Impfprogramm ausgewählt. Aus allen Neugeborenen, die damals mit auf der Station waren. Weil er so
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