Infinity (German Edition)
wahrscheinlich inzwischen nass und ungenießbar geworden ist, habe ich nichts bei mir.« Sie zuckte mit den Schultern und bückte sich nach dem aufgeweichten Paket. Sie sah den Kindern nur kurz hinterher, wie sie zum nächsten Haus liefen und alle Klingelknöpfe gleichzeitig drückten. So erleichtert war sie schon lange nicht mehr gewesen, in das warme Treppenhaus schlüpfen und die Tür hinter sich zuziehen zu können.
»Da bist du ja endlich! Ich bin am Verhungern.« Lucie linste auf das Packpapier in Klaras Händen, das keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck mehr machte.
»Tut mir leid, aber da draußen ist es echt ungemütlich.« Sie schob Lucie das Paket hin und holte sich einen dicken Pullover aus dem Schrank. »Außerdem ist Halloween.«
Lucie schaute verständnislos auf den feucht-fleckigen Karton. »Und was hat das mit dem traurigen Zustand dieses Teils zu tun, das vielleicht in einem früheren Leben einmal eine Bratwurst mit Brot gewesen ist?«
Klara kicherte. »Die Kinder haben mich so erschreckt, dass ich’s fallen lassen hab.« Sie setzte einen Blick auf, von dem sie hoffte, dass er zerknirscht wirkte. »Tut mir echt leid. Wenn du willst, mach ich dir eine Eierspeise.«
Lucie hob abwehrend die Hände. »Bitte nicht. Wir kennen beide deine Talente. Kochen zählt mit Sicherheit nicht dazu.« Sie stach mit dem beigepackten Zahnstocher in die Wurst und schob sie in den Mund. »Außerdem hab ich eine gute Nachricht, die dich bestimmt mehr interessiert, als in der Küche Eier zu zertrümmern.« Sie kaute an dem Bissen, während sie sich wieder dem Computer zudrehte.
Klara war mit einem Satz neben ihr. »Bist du drin?« Sie starrte auf endlos lange Zahlenkolonnen und Tabellen, die über den Bildschirm flimmerten.
»Mhm … War nicht leicht, aber mich hat noch keiner ausgesperrt.«
Kaugeräusche mischten sich unter das leise Surren des Ventilators. Klara fand es normalerweise ekelig, wenn jemand mit vollem Mund sprach, doch in diesem Fall ignorierte sie den Unwillen, der automatisch in ihr hochkam.
»Bei den beiden anderen Firmen hab ich nichts wirklich Spannendes entdeckt. Die machen zwar auch so ihre krummen Dinger wie unerlaubte Preisabsprachen und ein paar nicht erwähnenswerte Bestechungsgeschenke an die eine oder andere Behörde. Aber die SanaLife-Gruppe ist der Volltreffer. Wenn die nicht Dreck am Stecken haben, fasse ich nie wieder eine Tastatur an. Schau selbst!«
Lucie vergrößerte das Dokument so weit, dass Klara den Text entziffern konnte. Klara zog geräuschvoll den Atem ein. Hier stand es schwarz auf weiß, in sauberen Reihen, Zeile um Zeile untereinander. Zehntausend Euro an Dr. Johannes Neumeier. Monat für Monat. Seit August 1990.
»Wahnsinn.« Klara überschlug die Summe im Kopf. Fast zweieinhalb Millionen Euro waren an den Arzt in den letzten zwanzig Jahren überwiesen worden. »Was muss der dafür gemacht haben? Was ist so eine Riesensumme wert?«
Lucie pfiff durch die Zähne. »Etwas, von dem sie sich in Zukunft um ein Vielfaches mehr erwarten, würde ich sagen. Aber das ist noch nicht alles.« Sie klickte ein Dokument an, das hinter der Liste verborgen war. Noch mehr Aufstellungen mit Zahlungen in unterschiedlichen Höhen. An das Innen- und Gesundheitsministerium, an Standesämter, Einzelpersonen, deren Namen Klara nichts sagten, an verschiedene andere Konzerne und so weiter. Da war von Stiftungen die Rede, von Spenden und Firmengründungskrediten, Abschreibungen, Steuerrücklagen, Umschuldungen … Klara schwirrte der Kopf.
»Die tricksen, dass die Tür nicht zugeht! Und du brauchst nicht zu glauben, dass das alles ist. Ich kann dir noch jede Menge anderer Listen zeigen, wo ähnliche Summen auf die diversen SanaLife-Konten fließen. Das ist ein lustiges Ringelreihen, da wird einem ganz schwindlig.«
»Stimmt. Mir ist schon schlecht. Die können alles machen, was sie wollen. Mit so viel Geld haben sie mehr Macht als der Bundespräsident oder die Regierung zusammen.« Klara trat ans Fenster und fixierte das trübe Licht der Straßenlaternen. Sich mit SanaLife anzulegen, kam einem Selbstmord gleich. Sollte dieser Konzern tatsächlich etwas mit Richis Tod und den unerklärlichen Psychoattacken zu tun haben, hatten sie doch nicht die geringste Chance, der Firma am Zeug zu flicken.
Alens Versuch, bei seinem Vater etwas über eine mögliche neue Droge herauszufinden, war nicht einmal das Kitzeln eines Bienenstachels auf einer Elefantenhaut. Sie wünschte sich, dass sie nie
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