Infiziert
oder severe acute respiratory syndrome – war von den Medien mehrmals als die nächste »Albtraum-Seuche« bezeichnet worden. Sie war zwar potenziell tödlich und hatte in China bereits mehrere Opfer gefordert, doch stellte sie für ein Land mit einem effektiven Gesundheitssystem wie etwa das der Vereinigten Staaten keine größere Bedrohung dar. SARS war jedoch eine ansteckende, über die Luft verbreitete Krankheit, weshalb sie als Erklärung für die biologischen Schutzanzüge und die Quarantäne dienen konnte. Die Quintessenz bei SARS? Gefährlich genug, um die Leute aufmerksam werden zu lassen, doch nur für Ältere und Bewohner der Dritten Welt eine wirkliche Bedrohung – was in Amerika noch nie genügt hatte, um eine Panik auszulösen.
Sie stieg aus. Wie Hyänen stürzten sich der Reporter und der Kameramann auf sie. Ein Scheinwerfer strahlte ihr in die Augen, und ein Mikrofon wurde ihr unter die Nase gehalten. Sie zuckte zurück und versuchte darüber nachzudenken, was sie sagen könnte. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich erbrochen. Doch egal, wie schnell die beiden waren, Clarence Otto war schneller. Er bedeckte die Kameralinse mit einer Hand, packte das Mikrofon mit der anderen und schirmte Margaret mit seinem Körper so lange ab, bis sie die Tür erreicht hatte. Er bewegte sich mit der flüssigen Anmut eines Tänzers und der Geschwindigkeit einer zuschlagenden Schlange.
»Tut mir leid«, sagte Otto und setzte sein bezauberndes Lächeln auf. »Keine Fragen im Augenblick.«
Margaret ließ die Tür hinter sich zufallen, wodurch die heftigen Proteste des Reporters abgeschnitten wurden. Clarence Otto wusste, wie man mit den Medien umging. Wahrscheinlich wusste er, wie man mit allen möglichen
Dingen umging. Über einige davon wollte sie lieber nichts wissen, und über andere dachte sie jeden Abend nach, wenn sie einsam in ihrem Hotelbett lag. Vermutlich, so dachte sie, wäre es leicht, ihn zu verführen, denn sie wusste, dass ihr langes, schimmerndes schwarzes Haar und ihre dunklen Augen auch mit zweiundvierzig Jahren Teil ihres guten Aussehens waren, das immer noch viele Männer anzog. Sie hielt sich für eine attraktive Hispanoamerikanerin, und die Männer, die sie begehrten, nannten sie »exotisch«. Was sie komisch fand, denn sie war in Cleveland geboren worden. Sicher, sie war um die Hüften etwas füllig (doch wer war das nicht mit zweiundvierzig Jahren), und ihre Fältchen wurden nach und nach tiefer, doch sie wusste verdammt gut, dass sie so ziemlich jeden Mann haben konnte, den sie wollte. Und sie wollte Clarence.
Rasch schüttelte sie den Kopf, um wieder klar zu denken. Wenn sie unter Stress stand, wurde sie scharf, als besinne sich ihr Körper auf das einzige unweigerlich wirksame Mittel, das ihre geistige Anspannung mildern konnte. Doch um Himmels willen, sie würde eine Leiche obduzieren. Sie musste ihre Hormone unter Kontrolle halten. Margaret atmete tief durch, um ihren Stresspegel in den Griff zu bekommen, der mit jedem neuen Fall ungeahnte Höhen zu erreichen schien.
Kaum hatte sie die Klinik betreten, trat ein weiterer CIA-Agent auf sie zu und begleitete sie durch die leeren Flure. Es war ein Mann mittleren Alters, den sie nie zuvor gesehen hatte. Sie nahm an, dass er, genauso wie Clarence, nur Bruchstücke der ganzen Geschichte kannte. Murray wollte es so. Je weniger Leute Bescheid wussten, umso weniger Stellen gab es, an denen irgendetwas durchsickern konnte.
Sie betrat die Leichenhalle, in der sich die erst kürzlich eingerichteten mobilen Dekontaminationskammern befanden. Amos Brown, ihre einzige Hilfe bei der Jagd nach Antworten auf diesen biologischen Albtraum, wartete auf sie.
»Guten Morgen, Margaret.«
Sie hatte immer gedacht, dass er sich anhörte wie ein Frosch. Oder wie eine Kröte. Eine betrunkene Kröte, die langsam und knurrend sprach und deren Lippen nur zur Hälfte korrekt funktionierten. Der mehr als nur magere Amos wirkte irgendwie effeminiert und kleidete sich stets außerordentlich elegant, auch wenn er der Mode zehn Jahre hinterherhinkte. Die meisten Leute hielten ihn anfangs für schwul, doch seine Frau und seine beiden Kinder boten gewisse Indizien dafür, dass er es nicht war. Ihm schienen immer ein, zwei Stunden Schlaf zu fehlen, obwohl seine Energie nie nachließ.
Amos war mit ihr im Royal Oak gewesen, als sie Charlotte Wilson obduziert hatten, und seither hatte er sie bei allen weiteren Aufgaben unterstützt. Er war zweifellos einer der Besten auf
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