Infiziert
immer erschöpft und eher von Wut angetrieben als vom Schlaf erfrischt, saß Dew alleine in seinem großen Hotelzimmer und hatte das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt.
»Ist dein Partner noch immer in einem kritischen Zustand? «, fragte Murray.
»Ja. Es kann immer noch so oder so ausgehen. Er kämpft mit aller Kraft.« Auf dem Tisch vor Dew lag ein gelbes Tuch, auf dem sich die Einzelteile der Militärversion seines Colt 45 Automatik befanden. Das mattierte, glatte Metall wirkte blaugrau unter den strahlend hellen Lampen des Hotelzimmers.
»Die Ärzte kümmern sich um ihn?«, fragte Murray.
»Tag und Nacht«, sagte Dew. »Sogar diese Schlampe vom CDC ist vorbeigekommen und hat einen Blick auf ihn geworfen.
Kann sie nicht wenigstens warten, bis die Leiche kalt ist, Murray?«
»Ich habe sie geschickt, Dew, und du weißt das. Sie braucht alle Informationen, die wir bekommen können. Wir klammern uns hier an einen Strohhalm.«
»Welche Informationen hat sie denn?«
»Ich fliege morgen rüber. Ich bekomme einen Bericht aus erster Hand, und dann erfährst du alles von mir. Bis dahin machst du am besten überhaupt nichts.«
»Wie sieht’s aus im Land? Haben wir irgendwelche neue Kunden?« Dew hatte die Waffe geölt und wieder zusammengesetzt. Er legte sie beiseite und zog zwei Schachteln hervor. In der einen befanden sich leere Magazine, in der anderen jede Menge Patronen Kaliber 45.
»Soweit wir wissen, nein«, sagte Murray. »Im Westen nichts Neues. So sieht’s jedenfalls aus. Und falls wir neue Kunden bekommen, musst du dir über die keine Sorgen machen. Du brauchst eine Pause. Ich bin damit beschäftigt, ein paar neue Leute mit ins Boot zu holen.«
Mechanisch und im gewohnten Tempo lud Dew das erste Magazin. Er legte es ab und fing mit dem nächsten an. Dew seufzte, als würden seine nächsten Worte das Schicksal seines Freundes besiegeln, doch die Pflicht ging vor.
»Mal wird’s nicht schaffen, Murray. Es klingt beschissen, so etwas zu sagen, aber es ist die Wahrheit.«
»Ich habe schon jemanden im Auge für dich. Ich werde ihn kurz über das Wichtigste informieren.«
»Keine Partner mehr.«
»Verdammte Scheiße, Dew«, sagte Murray, und seine ruhige Stimme klang plötzlich wütend. Üblicherweise war er geschickt darin, seine Gefühle zu verbergen – und er war es
schon immer gewesen –, doch jetzt brach die Frustration aus ihm heraus. »Fang jetzt nicht an durchzudrehen. Ich wollte zuerst, dass du das alleine erledigst, das weiß ich. Aber die Sache ist zu groß dafür. Ich will, dass du mit jemandem zusammenarbeitest. Du brauchst jemanden, der dir hilft.«
»Murray, ich hab gesagt, keine Partner mehr.«
»Du wirst deine Anweisungen befolgen.«
»Wenn du mir einen Partner schickst, dann schieße ich ihm ins Knie«, sagte Dew. »Du weißt, dass ich das tun werde.«
Murray schwieg.
Fast ohne zu zögern fuhr Dew fort, und nur gelegentlich färbte eine Andeutung von Gefühlen seine Stimme.
»Malcolm war mein Partner, aber er ist so gut wie tot. Die Scheiße, die ich erlebt habe, war völlig durchgeknallt, Murray. Leute, die mit diesem Zeug infiziert werden, sind keine Menschen mehr. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, also weiß ich, womit wir es hier zu tun haben. Ich weiß, dass Margaret etwas braucht, womit sie arbeiten kann, und ich weiß, dass sie es schnell braucht. Ich kann ihr das besorgen. Allein. Wenn ich mich noch einmal an jemanden gewöhnen muss, kann ich mich nicht so frei bewegen, wie es eigentlich notwendig wäre. Von nun an arbeite ich allein, Murray.«
»Dew, du solltest das nicht persönlich nehmen. Du hast keine Zeit für irgendwelche bescheuerten Überlegungen, die dein Urteil trüben könnten.«
Dew war mit dem zweiten Magazin fertig. Er hielt es in der linken Hand und starrte auf die schimmernde Spitze der einzelnen frei liegenden Patrone.
»Hier geht es nicht um Rache, Murray«, sagte Dew. »Spiel nicht den Idioten. Das Arschloch, das Malcolm umgebracht
hat, ist bereits tot, also an wem sollte ich mich noch rächen? Ich arbeite einfach nur besser ohne Partner.«
Murray schwieg einen Augenblick. Eigentlich war es Dew egal, ob Murray zustimmte oder nicht. Er würde alleine arbeiten, und damit war die Sache erledigt.
»In Ordnung, Dew«, sagte Murray leise. »Aber denk bitte daran, dass ein lebendes Opfer für uns viel wichtiger ist als noch eine Leiche.«
»Ruf mich an, wenn du in der Stadt bist.« Dew beendete die Verbindung. Er hatte gelogen, natürlich.
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