Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit (German Edition)
Gestalt: dass diese große Liebe scheitern, der Versuch des gemeinsamen Lebens in einer Katastrophe enden könnte. Denn das hochsensible Zentrum, um das die Stunden und Tage und mit ihnen das Paar Ingeborg Bachmann und Max Frisch kreisen, bildet die diffizile Beziehung zwischen der Arbeit, in diesem Fall dem Schreiben, und dem Leben. Überspitzt und allgemeiner ausgedrückt, geht es um die Frage, was eigentlich zuerst da ist bei Ingeborg Bachmann und Max Frisch: die Erfahrung oder der Satz? Die Realität oder die Erfindung? Jeder schreibende Mensch hat sich mit dieser Problematik zu konfrontieren, in unterschiedlicher Radikalität. Leben Schriftsteller, um zu schreiben, oder schreiben sie, um dann lebend ihren eigenen literarischen Entwurf einzuholen? Inwieweit überhaupt gibt es so etwas wie pure Erfahrung, und wo setzt das Erfinden ein?
Betrachtet man die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, dann erscheint irgendwann nichts zwingender, als sich dem Rätsel des Zusammenspiels von Leben und Schreiben zu stellen. Die Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch als rein private Beziehung isoliert betrachten zu wollen führt zwangsläufig in die Leere. Alles, was dieses Paar betrifft, hat ursprünglich zu tun mit ihrer Arbeit. Nie lassen sich die Personen Frisch und Bachmann abtrennen von ihrem Schreiben. Und nicht zuletzt ist gerade das Verhältnis von Leben und Schreiben, diese spannungsgeladene Atmosphäre eines besonderen »Dazwischen« eine Kraft, die mitschreibt auch am intimen Erzählstrang dieser Liebesgeschichte.
Max Frisch wird von seiner Tochter Ursula Priess als schamhaft geschildert, denn er habe ihr zwar die ganze Wohnung gezeigt, nicht aber das Schlafzimmer. Ursula Priess wundert sich, denn es sei doch klar gewesen für sie, dass sie es bei Bachmann und ihrem Vater mit einem Liebespaar zu tun hatte. Max Frisch schreibt aber ja doch sehr viel über die Liebe, über sein Leben als Mann, er spart Intimes nicht aus, spricht beispielsweise über Impotenz, ohne sich zu schämen. Vielleicht geschieht es aus Rücksichtnahme Ingeborg Bachmann gegenüber, die die Bereiche des Privaten und des Öffentlichen strikt trennt und nichts so sehr hasst wie Indiskretion. »Obwohl es einmal alle wußten, aber da es heute keiner mehr weiß, warum es heimlich zu geschehen hat, warum ich die Tür schließe, den Vorhang fallen lasse, warum ich allein vor Ivan trete, werde ich einen Grund dafür verraten. Ich will es so, nicht um uns zu verbergen, sondern um ein Tabu wiederherzustellen.« 2 Was Ingeborg Bachmann hier in ihrem Roman Malina erzählt, gilt für sie selbst gleichermaßen.
Je komplexer eine Erfahrung ist, desto dichter, desto vielschichtiger sind die Werke, die sich damit auseinandersetzen, die Wirklichkeit des Erlebten neu erfinden. Das gilt auf jeden Fall für Max Frisch. Gleichzeitig ist er aber auch überzeugt davon, dass wir Menschen alle, auch die Nicht-Schriftsteller, immerzu Rollen spielen, dass wir also schon im Leben unsere Geschichten erfinden. Das Ich eines jeden Menschen ist jederzeit auch eine Rolle oder mehrere Rollen. Und so drückt der Schriftsteller lediglich in extremer Weise etwas zugespitzt aus, was zu unser aller Alltag gehört.
Die Erfahrung will sich lesbar machen als zumindest teilweise Erfindung, und so entsteht Fiktion. Für den Schriftsteller ist es ein Muss, ein Drang, dem er nur schreibend nachgeben kann. Max Frisch hat eine reiche Vorstellungskraft. Er taumelt nicht bewusstlos in seine Erfahrungen hinein, sondern stellt sich vor, was alles passieren könnte. Nicht alles, was er sich vorstellen kann, möchte er auch wirklich erleben. Manche Erfahrung möchte er einem anderen Ich übergeben und sein eigenes Ich entlasten. Immer ist da die Frage, wer eigentlich spricht in einem Text und ob es jemanden gibt, der die Figuren leitet, auswählt, was erzählt werden soll.
Der Autor, der sich sein Leben erzählt, geht auch erfinderisch um mit den Leben der anderen Menschen, die ihm begegnen, die er kennt, die ihm etwas bedeuten oder mit denen er nur zufällig zu tun hat. Aber nicht nur die Schriftsteller, auch wir machen uns Bilder vom anderen und müssen achtgeben, dass keine Erstarrung in ein Bild hinein stattfindet. Frisch ist sich klar darüber, dass die Frauen, mit denen er lebt, die er liebt, von ihm erfunden werden, dass er nicht nur der realen Person, sondern auch dem Bild gegenübertritt, das er entworfen hat, von der ersten Begegnung an und manchmal
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