Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit (German Edition)
bereits vor der ersten Begegnung. Bei Ingeborg Bachmann ist das schwieriger als bei anderen Frauen, weil sie wie Frisch selbst Schriftstellerin ist, und das heißt, intensiver als andere Menschen sich selbst entwirft. Und: Nicht alle Schriftsteller haben ein solch großes Talent zur Inszenierung des Selbst wie Bachmann. Dieser Frau kann Frisch so viele Mäntel der Erfindung überwerfen, wie er will, sie trägt darunter einen Berg an Kostümen, die der Mantel nicht verdecken kann, die durchschimmern, sich aber niemals ganz zu erkennen geben. Jede seiner Erfindungen greift in diesem Fall zu kurz. Es geht nicht lange, bis er das einsieht, aber er macht trotzdem weiter. Zu spannend ist dies Spiel aus Wirklichkeit und Phantasie. Wunderbar schillernd ist die Frau, die er erfindet und die doch jede seiner Erfindungen durch ihre überwältigende Erscheinung und den Reichtum an überraschenden Reaktionen überbietet. Das erfährt Frisch nun in der Via de Notaris besonders intensiv. Wie Ingeborg Bachmann genau arbeitet, kann Max Frisch nicht wissen. Trotz der relativ langen Zeit, in der das Paar eng zusammenwohnt, bleibt das in alle Richtungen wirkende Zentrum in Bachmanns Leben, ihre schriftstellerische Arbeit, so gut wie verborgen. Auch wenn zwei Schriftsteller zusammenleben, ist es nicht zwangsläufig, dass sie einander über die Schulter schauen bei der Arbeit.
Die Liebe als »Thema« ist in den Werken Bachmanns und Frischs von Anfang an präsent. Ingeborg Bachmann entwirft, vor allem in ihrer Lyrik, das Bild einer Liebe, die im realen Beziehungsalltag nicht lebbar ist. Die Sprache des Gedichts vermag etwas zu zeigen, das sich nicht erklären, das sich schwer festmachen lässt an den konkreten Erfahrungen konkreter Menschen. Vorbilder für diese Liebesutopie findet Ingeborg Bachmann vor allem in den Gedichten der Gaspara Stampa, die an einen Grafen Sowieso gerichtet seien, der sie offenbar sehr rasch verlassen hat.
Immer und immer wieder ist es nicht das Glück real gelebter Liebe, sondern die Unmöglichkeit, das Kunstwerk Liebe zu leben, was Ingeborg Bachmann in ihrem Werk evoziert. Aber auch diese Dichterin der Liebesunmöglichkeit ist auf der Suche nach dem idealen Geliebten. Für Bachmann ist es die Sprache des Gedichts, der Erzählung, des Romans, des Hörspiels, die vorsagt, was sich zutragen wird. Es verhält sich nicht wie bei Frisch, der zuerst einmal Erfahrungen machen muss, um überhaupt schreiben zu können. Bachmann hat ihre Geschichten längst erfunden und begibt sich auf die Suche nach möglichen Erfahrungen, die dem bereits Vorentworfenen eine Art Authentizität nachtragen könnten. Bachmann, die Leserin und Denkerin, die Wissensdurstige, in vielen Bereichen Gebildete, sie braucht Stoff, hautnahes Erleben, um Glaubhaftigkeit zu erzeugen. In der Absolutheit mancher Aussagen schafft Bachmann eine Wirklichkeit, die etwas Abstraktes hat, von sehr allgemeinem Charakter ist. Als Beispiel mag ein in den Jahren 1948/1949 entstandenes Gedicht dienen:
Es könnte viel bedeuten: wir vergehen
wir kommen ungefragt und müssen weichen.
Doch dass wir sprechen und uns nicht verstehen
und keinen Augenblick des andern Hand erreichen,
zerschlägt so viel: wir werden nicht bestehen.
Schon den Versuch bedrohen fremde Zeichen,
und das Verlangen, tief uns anzusehen,
durchtrennt ein Kreuz, uns einsam auszustreichen. 3
Sehr hochtrabend für eine so junge Frau, könnte man sagen. Wie überhaupt kann sie bereits in diesem jugendlichen Alter solch weitreichende Erfahrungen gemacht haben? Wie kann eine junge Frau derart einsam sein? Es ist eine Mischung aus Gelesenem, Erlebtem, Gedachtem, Gehörtem, was sie bewegt und was sie dichterisch verarbeitet. Das Ergebnis hört sich an wie die Verkündigung letzter Weisheiten, die nicht zu hinterfragen sind. Ingeborg Bachmann gibt an, Robert Musil habe zu ihren ersten Leseerfahrungen gehört. Musil, der Möglichkeits-Schriftsteller, der Verwerfer jeder Art festgefügter Wirklichkeit. Musil, der Dichter des »anderen Zustands«. Worte und Sätze in den Büchern weiterer Autoren faszinieren Bachmann. Sie gehen in ihr Werk ein, ununterscheidbar. Es gebe für sie keine Zitate, sondern die wenigen Stellen in der Literatur, die sie immer aufgeregt haben, und die seien für sie das Leben. Sie zitiere nicht einfach Sätze, es gehe ihr weit eher darum, zu zeigen, dass manche dieser Sätze einen erregen könnten wie das Leben selbst. Und so wird ununterscheidbar, was Fiktion ist, was Realität,
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