Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit (German Edition)
man jemanden liebt, lässt man ihn so selten wie möglich allein, sucht stattdessen die permanente Nähe. Nein, wirklich zu lieben scheint Ingeborg Bachmann ihren Max nicht.
Marianne Oellers selbst hat Rom verlassen mit Tankred Dorst zusammen, aber es kam zu einem Streit, in dessen Folge man sich getrennt hat, und nun ist sie also frei. Oder doch nicht mehr ganz frei, denn etwas in ihr hat sich bereits entschieden, für eine neue Liebe, für Max Frisch. Ingeborg Bachmann zweifelt in keiner Weise daran, dass Frisch so etwas nicht tun würde, sie verlassen wegen einer jungen, hübschen, und wenn auch klugen, so doch in Liebesdingen offenbar reichlich naiven Studentin. Aber dann geschieht sehr schnell das schier Unmögliche, und Frisch trennt sich im September 1962 von Ingeborg Bachmann. Das Ende, es kommt gänzlich unerwartet und ist ein Schock für Ingeborg Bachmann. Die neue Frau an Max Frischs Seite aber heißt Marianne Oellers.
Zurück bleibt eine verstörte, sich wie tot fühlende Ingeborg Bachmann. Ermordet? Einfach so aus dem Weg geräumt, als sei es das Natürlichste auf der Welt? Denn geschieht schließlich nicht genau das täglich, überall, dass Menschen einander ermorden jenseits der großen Kriege? Wie konnte Bachmann so leichtgläubig sein, wo sie doch sicher ist, dass es viele alltägliche Niederträchtigkeiten gibt zwischen den Menschen, zwischen Mann und Frau? »Es fängt an in Beziehungen zwischen den Menschen. Der Faschismus ist das erste in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau…« 4 Das Furchtbare, Mörderische geschieht einfach, ohne dass ein großes Aufhebens davon gemacht würde. Auch die Trennung Frischs von Bachmann geschieht irgendwie, sehr schnell, als habe es sich ergeben, einfach so. Man müsse sagen können, was jeden Tag neben uns passiert, auf welche Weise Menschen ermordet werden von den andern. Erst dann, wenn jemand das beschrieben habe, könne man verstehen, wie die großen Morde zustande kommen. 5 Der Alltag selbst hat abscheuliche und mörderische Züge. Täglich werden Menschen ermordet, ohne dass ein offener, militärisch ausgetragener Krieg herrschen muss. Dieser Meinung ist Ingeborg Bachmann. Sie äußert sie öffentlich in Interviews und erzählt in ihrem Werk davon.
Und Max Frisch? Er verlässt Ingeborg Bachmann auf diese abrupte Weise, ohne Vorwarnung. Fühlt auch er sich verraten und verkauft? In seiner Liebe missbraucht? Geht auch er davon aus, dass die eigentlichen Verbrechen im ganz normalen Alltag geschehen? Zumindest in seinem Werk gibt es Anzeichen für diese Ansicht, so zum Beispiel in Stiller . Dort heißt es, es gebe eigentlich keinen Menschen, der nicht durch ein Lächeln oder auch durch ein Schweigen umzubringen sei. Und weil die Menschen die alltäglichen, geradehin geschehenden Morde nicht sähen, deshalb bräuchten sie die großen sichtbaren Morde. Es ist offensichtlich, dass Bachmann und Frisch in die gleiche Richtung fühlen und denken, wenn man ihre Äußerungen zum ihrer Meinung nach ganz normalen mörderischen Zusammenleben von Menschen vergleicht. Sie haben beide ein feines Sensorium für die ausgeklügelten und nicht weiter kommentierten Grausamkeiten des Alltags und gestalten das auch in ihrem Werk. Irgendwie leben Bachmann und Frisch schon immer in der Meinung, die Welt sei ein Mordschauplatz ganz eigener Art. Und wenn man diesen Faden weiterspinnt, ergibt sich zwangsläufig dieser kriminalistische Aspekt auch in Hinsicht auf die Liebesbeziehung Bachmann-Frisch. Denn die beiden sind Teil der mörderischen Gesellschaft.
Auch in das Schreiben des Paars haben Elemente des Kriminalromans Eingang gefunden. Sie schreiben sogar ihre sehr spezielle Art von Kriminalliteratur, die ausgeht von der auf die Spitze getriebenen Einsicht, dass die Gesellschaft als solche ein Mordschauplatz ist.
Aus dieser extremen Sichtweise heraus entwickeln sie Aspekte ihrer Geschichten, Stücke, Hörspiele. Bachmann und Frisch sind Zündler: Sie legen Feuer im Wissen, dass es sie erwischen kann, dass sie womöglich selbst verbrennen. J’adore ce qui me brûle heißt ein früher Roman von Frisch: Ich bete das an, was mich verbrennt. Und Ingeborg Bachmann zitiert in einem Interview mit Dieter Zilligen Gustave Flaubert: »Mit meiner verbrannten Hand schreibe ich über die Natur des Feuers.« Bachmanns Deutung dieses Satzes lautet, dass man erst dann über das Feuer sprechen könne, wenn man sich die Hand verbrannt habe. Feuer also, wohin man schaut, aber eben nicht
Weitere Kostenlose Bücher