Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit (German Edition)
Unantastbarkeit, eine Fragilität, als sei sie nicht von dieser Welt. Aber selbst in solchen Momenten durchkreuzt sie ihr Erscheinungsbild häufig durch eine Geste, einen Blick, ein Lächeln. Und man hat eine nachdenkliche, eine rauchende oder gerade die Zigarette anzündende, eine dem Gegenüber zugewandte Grande Dame vor sich. In ihrem Auftreten ironisiert sie all das, was von ihr als einer Göttin der Dichtkunst erwartet wird. Sie streicht durch, was bereits feststeht, lächelt es hinweg, zeigt ein plötzliches Staunen, reagiert intensiv auf ihren Gesprächspartner, hält sich einerseits in der Rolle eines Stars, trägt eine Pelzstola, eine eng um den Hals gelegte Perlenkette, wirkt streng, steht oder sitzt hoch erhobenen Hauptes, als blicke sie über alle und alles hinweg, und dann entlarvt vielleicht die Handhaltung den Kunstcharakter des Königinnenhaften und lässt etwas von der Person sichtbar werden. Ein Star, eine Königin, eine Göttin will angeschaut werden, und die Menschen haben ihrerseits den Wunsch, anzuschauen. Blickt die Königin aber zurück, dann ist da auf einmal etwas Verwirrendes, die Schauenden möchten nicht selbst auch angeschaut werden, sondern verharren lieber in ehrfürchtiger Bewunderung. Ingeborg Bachmann aber lässt es sich nicht nehmen und schaut meistens zurück, auch wenn sie scheinbar ganz und gar den Star gibt. Niemals geht sie völlig auf in der Rolle der Angeschauten.
Maria Callas selbst hat darauf hingewiesen, dass es zwei Wesen in ihr gebe, Maria und Callas. Maria sei in ihrer Arbeit immer dabei, beide gehörten zusammen. Callas aber sei vor allem eine Berühmtheit. Auch in Ingeborg Bachmann gibt es zwei Wesen: Ingeborg und Bachmann. Max Frisch erlebt beide Seiten.
Ingeborg Bachmann ist in diesem Jahr 1961 oft für Wochen unterwegs, Frisch bleibt allein in Rom zurück. Bachmann macht vom 10. Februar bis zum 16. März eine ausgedehnte Lesereise mit Stationen in Düsseldorf, Göttingen, Braunschweig, Dortmund, Darmstadt, Hamburg und weiteren Städten. Im Juni erscheint Das dreißigste Jahr bei Piper, außerdem kommen Bachmanns Übertragungen der Gedichte Giuseppe Ungarettis ins Deutsche heraus. Auch aus diesen Werken liest sie, zum Beispiel in Zürich. Manchmal macht Frisch das Warten ins Unbestimmte hinein fast wahnsinnig. Einmal, als sie sich angekündigt hat, fährt er ihr entgegen, hält an einer übersichtlichen Kurve. Und dann erkennt sie ihn nicht einmal, reagiert nicht auf sein Hupen, fährt vorbei. Er lauscht ins Nebenzimmer, wenn sie telefoniert. Ihr Lachen am Telefon irritiert ihn, er fragt sich, wer es ist, der sie zum Lachen bringt. Er hört, wie sie davon erzählt, dass sie nach London fahre. Aber sie verschweigt, dass sie mit ihm, Max Frisch, dorthin reisen wird und dass der Anlass die Aufführung eines seiner Stücke ist: Biedermann und die Brandstifter . Niemals gibt sie nach außen Zeichen, dass Frisch und sie ein Paar sind. So gibt es kein einziges Foto, auf dem Frisch und Bachmann zusammen zu sehen sind. Das ist ein ganz und gar verrücktes Detail. Bachmann hat schließlich kein Problem damit, sich mit Männern zusammen ablichten zu lassen. Es gibt Fotos, auf denen sie mit Henze zu sehen ist, Fotos von ihr und Celan.
Ingeborg Bachmann lebt viele Leben gleichzeitig, und sie möchte nicht, dass ein Leben vom anderen weiß. Oft hilft nur der Wein, und dann findet sich Frisch auf der Terrasse in seinem eigenen Erbrochenen liegend vor. Er leidet nicht stumm, er brüllt, er wehrt sich, er randaliert und bleibt doch in ihrer Nähe. Denn er liebt diese rätselhafte schillernde Person. Er liebt Ingeborg, und er liebt die Bachmann.
Manchmal ist sie so unnahbar, dass er es kaum aushält. Aber dann zeigt sie scheinbar ohne Übergang ihre Ängste, Unsicherheiten, ist verletzlich, sucht Schutz. Sie schmückt die Wohnung mit Frischs Lieblingsblumen, sie kauft sich ein Kleid, um ihm zu gefallen. Das sind scheinbar Kleinigkeiten, aber für eine wie Ingeborg Bachmann ist es weit mehr. Hier fallen ihre Masken, hier ist sie nicht anders als irgendeine andere Frau. In der gemeinsamen Wohnung sitzt eine Ingeborg, die nicht nur Arien von Callas hört, sondern eine Liebhaberin neapolitanischer Volkslieder ist. Ihr Lieblingssänger ist Roberto Murolo. Murolo begleitet sich selbst auf der Gitarre. Er singt nicht von einer großen Bühne herab für ein großes Publikum, da ist nichts Theatralisches, vielmehr hört es sich an, als sänge Murolo nur für sich, ins eigene Innere
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