Ingrid
konnte. Ich brauchte mich in nichts mehr einzumischen; mein einziger Auftrag lautete, Tommy zu finden und zurückzubringen.
Ich schaltete das Licht im Wohnzimmer ein. Die Fensterläden und Gardinen waren offen, aber alle Fenster lagen zur Flussseite hin, und die Nachbarn tendieren meist weniger dazu, die Polizei zu rufen, wenn ein Haus normal erleuchtet ist, als wenn der Strahl einer Taschenlampe durch die Räume geistert.
Ich zog Peters Schreibtischschubladen auf. Umschläge, eine Zigarrenkiste mit Briefmarken, Kugelschreibern, Büroklammern, Heftzwecken, sogar leere Schachteln von Farbbändern für die Schreibmaschine. Außerdem eine Schublade voller Krimskrams: Isolierband, ein Taschenmesser, ein Hefter, Gummibänder, eine kleine Lupe und eine Mappe der staatlichen Lottogesellschaft, an deren Ziehungen er jeden Monat automatisch teilnahm. Dann ein Stapel mit Papieren und Prospekten, ein Heft mit Überweisungsträgern, sein Pass, Mäppchen mit Passfotos. Ein alter, abgegriffener, kleiner brauner Bankumschlag mit einem abgelaufenen Kraftfahrzeugbrief, Zettel mit Zahlen, ein kleiner, eingeschweißter Presseausweis und einige Fotos von Frauen. Eines davon war ein Passfoto von einer Blondine; ein etwas größeres Bild zeigte eine recht exotisch aussehende junge Frau mit langen dunklen Haaren und einem schmalen, hochmütigen Gesicht, die nackt auf der obersten Koje in einer Schiffskabine zu liegen schien. 1992 war mit Kugelschreiber hintendrauf geschrieben. Von derselben Frau gab es auch ein Passfoto, auf dem schon etwas mehr stand: Alles Liebe, Amrita.
Der Umschlag sah aus und fühlte sich an, als habe Peter ihn zwischen all die anderen Dinge geschoben, um ihn zu verstecken.
Ein anderer, neuerer Umschlag in diesem Stapel enthielt zwanzig Hundert-Dollarnoten.
Im Heft der Überweisungsformulare blätterte ich in den Abschnitten mit den Anmerkungen für den Kontoinhaber herum. Peter besaß ebenso wie ich die Gewohnheit, diese gar nicht oder nur notdürftig auszufüllen. Ben B, 1.200.-; nur gelegentlich ein Name, ein Betrag: Kolf, und Rechn. 20/2/00, oder Gerrit, geliehener Betrag retour. In der Mitte des Blocks fand ich den Beleg einer Überweisung an Amrita in Höhe von 2.000 Euro. Ein Datum stand nicht dabei, genauso wenig wie auf den anderen Abschnitten, nur die Bemerkung Ext.
Extern? Kleines Extra? Ex tempore? Exterminator?
Sein Adressbuch, ein alphabetisches Register mit knallblauem Umschlag, war voll bis obenhin und wimmelte vor Durchstreichungen und Adressänderungen. Ich suchte unter A wie Amrita, fand aber nur Adressen und Telefonnummern des Senders AVRO, von ARC Visuals, die Nummer der Auslandsauskunft, einen J. Achterberg und einen Zahnarzt Ampel inklusive Sprechstundenzeiten.
Vergebliche Liebesmüh.
In einer weiteren Schublade befand sich ein Schuhkarton mit Zubehör für Peters Pfeife, eine Schachtel mit Kugelschreibern und anderen Stiften, eine Rolle Bindfaden und ganz hinten, in einen Baumwolllappen gewickelt, eine kleine, ziemlich rostige Beretta, an der der Hahn und der Schlagbolzen fehlten.
Nutzlose Dinge.
Ich schaltete seinen Computer ein. Seine Manuskripte und diverse andere Ordner hatte er unter dem Ordner ›Wichtige Arbeitern zusammengefasst, und ich hätte mich stundenlang damit beschäftigen können, ohne einen Schritt weiterzukommen. Andere Adressen, geheime Konten, Urlaubsziele – vielleicht gab es sie, aber ich fand sie nicht. Ich ließ ein Suchprogramm nach Amrita fahnden, fand aber nichts Informatives. Eine Enzyklopädie meldete: Amrita oder Amreeta, im Hinduismus Elixier der Unsterblichkeit.
Ich weiß nicht, warum ich mich so auf Amrita fixierte, womöglich wegen des hübschen Nacktfotos oder weil Peter ihr Geld überwiesen hatte. Auf dem Bild sah sie nicht aus wie eine Hindufrau, sondern eher wie eine Spanierin. Vielleicht war sie Peters geheimes Elixier.
»Soll ich mich noch irgendwie um den Computer kümmern?« Nel war mit ihrer Bastelei im Wohnzimmer fertig und stellte sich hinter mich. »Amrita? Ist das was?«
»Ein Trank, der unsterblich macht.« Ich zeigte ihr die beiden Fotos. »Peter hat ihr vor kurzem 2.000 Euro überwiesen.«
»Wenn sie eine geheime Exgeliebte von Peter ist, wird sie vermutlich die Letzte sein, bei der Ingrid Unterschlupf sucht.«
Das klang überaus logisch. Ich schob die Schubladen zu und schaltete den Computer aus. »Wir halten uns hier schon viel zu lange auf. Es bringt nichts, wir suchen nach der Stecknadel im Heuhaufen.«
»Stimmt. Klaust du
Weitere Kostenlose Bücher