Ingrid
Vormundschaftsgericht einen Antrag gestellt, nun doch die Vormundschaft zugesprochen zu bekommen.«
Die Rechtsanwaltskanzlei Louis Vredeling verlor wirklich keine Zeit. »Das weiß ich«, sagte ich. »Ich handele in seinem Auftrag. Es geht um das Gesundheitszeugnis der Bracks …«
»Darüber darf das Jugendamt keine Informationen herausgeben«, reagierte sie prompt.
»Natürlich nicht.« Ein kleines Lachen, um sie zu beruhigen. »Ich hätte nur gern das Ausstellungsdatum gewusst und den Namen des Arztes, der die Untersuchung durchgeführt hat.«
»Ach so.« Sie schwieg, als frage sie sich, was wohl zulässig war und was nicht. Vielleicht suchte sie aber auch nur in der Akte. »Nun«, sagte sie schließlich. »Ich glaube, das kann ich dir ruhig sagen. Das Zeugnis wurde am 16. Juni ausgestellt, von Doktor Zeebrink, hier in Arnheim.«
»Steht eine Telefonnummer dabei?«
»Natürlich.« Sie gab sie mir ohne zu zögern. Sie erinnerte sich ebenso wie ich daran, dass zwischen uns eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens entstanden war.
Ich dankte ihr, legte auf und schaute den Brigadier an: »Dienstag der Mord, freitags das Gesundheitszeugnis?«
Kemming zog das Telefon zu sich hin. »Lass mich mal, bevor du hier noch vor meinen Augen eine falsche Identität annimmst«, sagte er, ohne dabei zu lächeln. Er wählte die Nummer, meldete sich als Polizeibeamter, erklärte, der andere Teilnehmer könne gern zurückrufen, um sich zu vergewissern, und sprach freundlich in den Hörer.
»Sie kannten Mevrouw Brack also schon vorher?«
»Können Sie sich noch erinnern, wann sie anrief, um den Termin zu vereinbaren?«
Et cetera.
»Das weitet sich ja allmählich zu einer ganz unwahrscheinlichen Geschichte aus«, sagte er, als er den Hörer wieder aufgelegt hatte.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich wundere mich über gar nichts mehr. Mir ist in meinem berühmten Amsterdam schon klar geworden, dass manche Dinge im Nachhinein ziemlich dumm oder unwahrscheinlich aussehen, wenn man einen Fall gelöst hat. Doch solange kein Verdacht besteht, ist nichts dumm. Dieses Zeugnis traf genau rechtzeitig ein. Beim Jugendamt ist nur aufgefallen, dass die Dame ordentlich Druck machte. Wer sollte sich für das Datum interessieren, an dem jemand mit dem Arzt telefonisch einen Termin für die Untersuchung vereinbart?« Ich legte den Kopf schief. »Wann war es?«
»Am Freitag, den 9. Juni, es ist eine Gemeinschaftspraxis, in der alle Telefongespräche notiert werden.«
Ich warf einen dicken Brocken Theorie über Bord, nämlich den, dass Ingrid auf eine geeignete Gelegenheit gewartet hatte, Jennifer zu ermorden, und diese Gelegenheit sich zufällig am 13. Juni ergeben hatte. Das stimmte also nicht. Der Zeitpunkt stand bereits vorher fest. Vielleicht seit dem Tag, an dem Ingrid begann, mich vor ihren Karren zu spannen, indem sie mir die Chance bot, sie aus dem Fluss zu retten und die anschließende Belohnung in Empfang zu nehmen. Vielleicht stand auch Peters Termin in Amsterdam schon lange fest und sie wusste, dass es spät werden und er im Hotel übernachten würde.
Kemming machte sich Notizen.
»Kann ich mit ihm reden?«, fragte ich.
»Nein.«
»Ich könnte ihn ins Stolpern bringen. Ihr seid verpflichtet, ihm mitzuteilen, dass du ihn laufen lassen musst, und spätestens ab dann wird er gar nichts mehr sagen.«
»Ich halte mich an die Regeln«, erwiderte Kemming. »Das hier ist ein Polizeipräsidium.« Er stand auf, und es sah aus, als wollten mich seine nach vorn gekrümmten Schultern in einer Zangenbewegung einschließen. »Brack sitzt in Handschellen im Vernehmungszimmer zwei, und sein Rechtsanwalt ist bei ihm«, sagte er etwas milder gestimmt.
»Und?«
Ich schüttelte den Kopf, noch bevor er etwas erwidern konnte. Ich brauchte keine Antwort. Ich begriff, dass ich überhaupt nicht wissen oder verstehen musste, warum Peter Brack die Schuld auf sich genommen hatte. Er hatte sich ein paar Tage lang in einer Zelle ins Fäustchen gelacht. Es gab nichts zu verstehen, es war ein gewöhnliches und verdammt schlaues Komplott. Man konnte sich höchstens noch fragen, wie ein Mann es zulassen konnte, dass seine Frau einen Mord beging, um an ein Kind zu kommen, und warum er selbst dabei auch noch mitgemacht hat. Aber dies war eine Frage, die Peter Brack nicht in einem Polizeipräsidium beantworten würde.
Ich stand ebenfalls auf. »Wie spät, meinst du, lasst ihr ihn raus?«
»Hast du vor, ihn abzufangen?«
»Ich werde dafür bezahlt, den
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