Ingrid
mindestens einmal wieder, und Bekannte können einem kaum entgehen. Jeder Passagier dreht garantiert ein paar Runden durch die Flure und über alle Decks.
Nel reservierte eine Kabine auf dem obersten Deck, und zehn Minuten später schlossen wir die Tür hinter uns. Spätes Sonnenlicht fiel durch das milchige Plexiglas des Bullauges. Kais auf der anderen Seite, Kräne, der Hafen von Barcelona. Die Kabine verfügte über vier schmale Einzelbetten, je zwei auf beiden Seiten. Die oberen konnten hochgeklappt werden. Wir saßen uns auf den beiden unteren gegenüber.
»Ich würde wirklich gerne mal eine richtige Kreuzfahrt machen, mit einem richtigen Bett«, sagte Nel. »Die Schiffe haben Luxuskabinen mit breiten Betten, das habe ich in den Prospekten gesehen.«
»Ich habe es dir ja schon versprochen.«
»Man kann Ausflüge nach Nazareth machen und beim Kapitän am Tisch essen.«
»Abgemacht.« Ich runzelte die Stirn. »Nazareth?«
»Und Fotos auf einem Kamel. Und vom Garten Gethsemane, für meine Mutter. Spielt es eigentlich eine Rolle, ob Peter uns sieht oder nicht?«
»Nein, außer dass wir ihm schlecht Handschellen anlegen können. Er führt uns bestimmt nicht freiwillig zu Ingrid, und Ibiza ist chaotisch.«
»Bist du schon mal da gewesen?«
»Nein, aber du kannst es mir ruhig auch so glauben. Allein in der Altstadt wäre es ganz einfach für ihn, uns loszuwerden, und wir können nicht zu zweit die ganze Insel durchkämmen. Er schüttelt uns ab, verlässt Ibiza und verschwindet irgendwo auf der Insel.«
»Ibiza?«
»Die Stadt heißt auch so.«
»Ich kriege hier Klaustrophobie.«
Wir nahmen eine Decke mit und wagten uns nach draußen. Wir stiegen auf ein höher gelegenes Sonnendeck mit vielen Holzbänken. Es war menschenleer, aber sehr offen und kahl und ziemlich ungemütlich. Rasch überquerten wir das Deck und fanden eine Treppe zu einem kleinen Achterdeck direkt darunter. Auch dort standen ein paar Bänke. Das Hippiepärchen saß auf einer davon, den Streit begraben, die Köpfe aneinander gelehnt.
Ich kontrollierte die Zugänge und beugte mich über die Reling. Einige Leute auf den unteren Decks taten dasselbe. Die Maasdam war schon lange verschwunden. Die Botafoc pfiff und löste sich mit schwappenden Wellen und aufgewühltem Wasser vom Uferkai. Schwere Taue klatschten ins Wasser und wurden durch Öffnungen in der Schiffswand hineingezogen. Nel drapierte die Decke über eine der Bänke, sodass wir darunter verschwinden konnten, falls wir Unrat in Form von Peter witterten. Ich rauchte solange eine Gauloise, während sie sich auf die Suche nach transportablem Essen machte.
Eine Viertelstunde später kam sie mit einer Plastiktüte wieder, in der sich Pizzen, Brötchen, ein paar Tomaten und eine bereits entkorkte Flasche spanischer Wein befanden.
Wir saßen nebeneinander, die Decke um unsere Schultern, tranken Wein und aßen Pizza. Wir beobachteten die Möwen, das Wasser und die Sonne, die auf der anderen Seite von Spanien unterging.
17
Wir hielten uns auf einem der unteren Decks auf, als die Botafoc um halb acht Uhr morgens an einem Kai der Stadt Ibiza anlegte.
Der Kai sah eher aus wie ein Boulevard, bewachsen mit Palmen und anderen Bäumen und gesäumt von Häusern, Restaurants und Geschäften, von denen die meisten noch geschlossen waren. Ibiza und die alte Zitadelle, die die Stadt überragte, strahlten frisch im rosafarbenen Morgenlicht.
Ein Traktor vom selben Typ wie in Barcelona begann, die fahrbare Treppe mit vielen umständlichen Manövern an die Schiffswand zu schieben.
»Siehst du Ingrid irgendwo?«, fragte Nel.
Nicht viele Leute unten am Kai erwarteten ankommende Passagiere. Ein paar Touristen, ein Herr in geschäftsmäßigem Dunkelblau, ein spanischer Polizist, eine junge Frau mit Kinderwagen und eine Frau neben einem Fiat Panda unter den Bäumen auf der gegenüberliegenden Seite. Direkt unter uns lehnte ein junger Mann an einem neu aussehenden Renault Clio, wahrscheinlich unserem Mietwagen. Keine Spur von Ingrid.
Ich zog Nel mit mir, als ich das Rasseln von Ketten und den Lärm heruntergelassener Gangways hinter dem Autodeck hörte. »Unten rum geht’s schneller.«
Wir eilten schmale Metalltreppen hinunter in den riesigen Fahrzeugladeraum und zwängten uns durch Dieselqualm an Lkws und Autos voller Touristen vorbei zu dem gähnenden Rechteck, das Licht und frische Luft verhieß. Außer uns waren noch andere Passagiere zu Fuß auf diese Idee gekommen, doch Peter Brack war
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