Ingrid
auf eine Abneigung gegen Friseure schließen. Er hatte ein schmales Gesicht mit tief liegenden, stechenden Augen, die ihm etwas Fanatisches verliehen.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, nimmt der Kollege Kapman jetzt erst einmal Ihre Fingerabdrücke, dann kann er schon wieder gehen«, sagte Kemming. Mit einem Blick auf meine gerunzelte Stirn fügte er hinzu: »Wir brauchen sie nur zum Vergleich. Sie haben meinem Kollegen gegenüber zwar ausgesagt, Sie hätten nichts angefasst, aber wir möchten das trotzdem gerne überprüfen, nur zur Sicherheit.«
»Sie könnten meine Fingerabdrücke auch aus der Datenbank in Amsterdam abrufen«, sagte ich.
Kemming nickte. »Schon, aber wir nehmen sie Ihnen lieber selbst ab, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Ich lachte. »Und vergleichen sie dann mit denen aus Amster dam.«
Unbewegt erwiderte er meinen Blick. »Oder wo immer Sie auch bei der Polizei gewesen sein mögen.«
Er hatte natürlich Recht, schließlich konnte ich alles Mögliche behaupten. Ich winkte den Streifenbeamten mit mir in die Küche. Dort öffnete er sein Köfferchen und nahm wenig routiniert meine Fingerabdrücke ab, erst mit einem Stempelkissen, dann einer Glasplatte und schließlich einem weißen Stück Pappe.
»Trinkt Ihr Chef Kaffee?«, fragte ich, während ich versuchte, die Tinte von meinen Fingern abzuwischen.
Der Beamte klappte sein Köfferchen zu und sagte: »Das müssen Sie ihn schon selbst fragen.« Dann verschwand er mit einem kurzen Nicken aus der Küche.
Besonders entgegenkommend waren sie nicht. Wahrscheinlich befürchteten sie, dass ich so ein Besserwisser aus der Großstadt war, ebenso wie wir in Amsterdam schon im Vorfeld auf der Hut vor sturen Hinterwäldlern vom Land gewesen wären. Natürlich waren das alles nur dumme Vorurteile, schließlich hatten wir dieselben Polizeischulen besucht und verrichteten dieselbe Arbeit. Bevor ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, füllte ich Wasser und Kaffeepulver in die Kaffeemaschine. Kemming war dabei, mein Sammelsurium an Romanen und Nachschlagewerken zu betrachten, die ich mehr oder weniger systematisch in meine alten Metallbücherschränke einsortiert hatte. »Seit wann wohnen Sie hier?«, fragte er, als er mich auf dem Fliesenboden näherkommen hörte.
»Seit knapp zwei Wochen.«
»Leben Sie allein?«
Ich nickte.
»Wo waren Sie heute Nacht?«
Ich wies mit dem Daumen nach oben. »Im Bett.«
»Auch allein?«
»Ja.«
»Wie gut kannten Sie Ihre Nachbarin?«
Mir lag die makabere Bemerkung auf der Zunge, dass sie vielleicht noch leben würde, wenn ich sie so gut gekannt hätte, wie die Polizei hoffte, behielt sie aber für mich, als ich durch das Fenster einen luxuriösen Leichenwagen vor dem Heuschober anhalten sah. »Ich habe sie nur flüchtig gekannt.« Mit einem Nicken wies ich hinüber zum Fenster. »Wo wird sie hingebracht?«
»Ins Kühlhaus des Bestatters in Geldermalsen«, sagte Kemming, ohne sich zum Fenster umzudrehen. »Und von da aus, wenn’s geht noch heute, zur Obduktion nach Rijswijk.«
Er verschränkte die Arme und schaute mich weiterhin schweigend an. Seine tief liegenden, rötlichen Augen hatten etwas Beunruhigendes.
»Was genau haben Sie bei der Polizei in Amsterdam gemacht, Meneer Winter?«
»Ich war bei der Kripo, genau wie Sie. Mit Morden hatten wir wahrscheinlich öfter zu tun als Sie hier. Mein Vorname ist übrigens Max.«
In der Regel bin ich eher reserviert und nenne andere nicht gleich beim Vornamen oder biete ihnen das Du an, aber Mark Kemming konnte höchstens ein paar Jahre älter sein als ich und wir waren Kollegen, oder jedenfalls ehemalige. Doch er ging nicht darauf ein. »Damit sollten wir vielleicht noch ein bisschen warten.«
Ich reagierte nicht. Er wirkte ein wenig gekränkt, als habe ich ihn mit meinem kollegialen Annäherungsversuch bestechen wollen. »Vielleicht geht es in Amsterdam ein bisschen gemütlicher zu«, bemerkte ich. »Dort würden wir uns zusammensetzen, eine Tasse Kaffee trinken und schauen, ob wir uns gegenseitig helfen könnten. Der Kaffee ist fertig, Sie riechen es vielleicht schon.«
Er verzog keine Miene. »Der Unterschied ist eben, dass Sie hier fremd sind und außerdem ein, äh, Zeuge in einem Mordfall.«
Sein Zögern entging mir nicht. »Sie wollten wohl sagen, ein, äh, Verdächtiger?«
Er ging noch mehr auf Abstand. Offensichtlich besaß er überhaupt keinen Humor. »Ich weiß nicht, wie man das in Amsterdam handhabt, aber sobald einer unserer Mitarbeiter einen etwas zu
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