Ingrid
Heuschober auf der anderen Seite der Hecke zu hören.
Ich trat meine Zigarette aus, ging im Dunkeln den Deich hinauf und blieb bei den Briefkästen stehen. In der Wohnküche brannte kein Licht, das hätte ich bestimmt gesehen. Ich hörte nichts mehr. Vielleicht hatte ich mich geirrt.
Die Pflastersteine waren trocken, und meine Schuhe machten kein Geräusch, als ich am Heuschober entlangging. Die einzigen Fenster, die nicht vom Deich aus einsehbar waren, waren die des Abstellraums, des Badezimmers im Erdgeschoss und der Schlafzimmer oben, doch auch auf der Rückseite sah ich nirgendwo Licht.
Ich schaltete meine Taschenlampe ein und beugte mich zur Hintertür. Die Siegel waren entfernt worden. Die eingeschlagene Scheibe hatte man noch nicht erneuert, aber irgendjemand hatte ein Stück Pappe eingesetzt, möglicherweise um zu verhindern, dass Katzen hineinkamen. Ich drückte leicht gegen die Pappe. Die unteren Klebestreifen waren lose, und ich konnte ohne weiteres mit der Hand hindurchfassen. Die Tatsache, dass die Pappe von innen angeklebt war, ließ irgendwo in einer Windung meines Gehirns eine Glocke läuten, doch leider zu flüchtig, als dass daraus eine Idee oder eine Erinnerung entstanden wäre.
Ich drehte den Verriegelungsknopf auf und öffnete vorsichtig die Tür. Der schwache Lichtstrahl meiner Taschenlampe erleuchtete den Abstellraum, in dem nichts verändert schien. Ich öffnete die Tür zur Wohnküche, schaltete meine Lampe aus, blieb erneut stehen und lauschte.
Da war nichts, nur die beklemmende Stille, die durch das Gedenken an die Toten entsteht. Nach einer Minute schaltete ich das Licht ein. Nichts Besonderes zu sehen, außer einem dunkleren Fleck auf den Fliesen vor der Anrichte, wo jemand den Versuch unternommen hatte, die Blutlache wegzuputzen. Jemand von der Polizei? Wer sonst?
Ich stand inmitten von Jennifers Gedanken und Erinnerungen. Ich hätte gern ein Stündchen hier herumgestöbert oder einfach nur dagesessen. Ich bin zwar nicht übertrieben übersinnlich veranlagt, habe aber dennoch die Erfahrung gemacht, dass es zu erhellenden Eingebungen kommen kann, wenn man einfach eine Weile still am Tatort sitzen bleibt und den Raum und die Atmosphäre auf sich wirken lässt. Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt, denn jeder Passant hätte das Licht sehen und Alarm schlagen können. Selbst wenn ich die bäuerlichbunten Gardinen sorgfältig zuzog, würde genügend Licht hindurchscheinen.
Ich war jedoch nicht der Einzige, dem das klar war. Eine Kälte hing in der Luft, die nichts mit der Temperatur zu tun hatte. Und ich fühlte noch etwas, etwas Feindliches. Mit der Hand auf dem Geländer stieg ich die Treppe hinauf. Als ich fast oben war, ging das Licht aus.
In dem Sekundenbruchteil, bevor ich reagieren konnte, schoss mir als erster Gedanke durch den Kopf, dass irgendjemand unten die Lampen ausgeschaltet haben musste, und beinahe zu gleicher Zeit, dass ich diesen Jemand unmöglich übersehen haben konnte. Erst dann kam ich auf die Idee mit dem Hotelschalter, und ich presste mich blitzschnell an die Wand, noch bevor ich das leise Rauschen hörte. Der Knüppel, oder was immer es auch war, sauste knapp an meiner Schulter vorbei, und mein Angreifer, der seine ganze Kraft in den Schlag gelegt hatte, verlor die Balance, als er nur Luft traf. Es war stockdunkel, aber ich hörte den Knüppel klappernd aus seinen Händen auf die Treppe fallen und spürte, wie er von der Stufe fiel und nach dem Geländer fasste. Mit beiden Händen griff ich in seine Kleidung und warf den Mann mithilfe seines eigenen Schwungs hinunter.
Es gab einen Mordslärm, und dann war es still. Mit meiner Taschenlampe leuchtete ich nach unten. Ich sah kein Gesicht, nur einen massigen Körper und viel weißes, haariges Fleisch, das nur zum Teil von der Hose und der Jacke eines rot-grün gestreiften Pyjamas bedeckt wurde. Ich kriegte einen ziemlichen Schrecken, als mir einfiel, dass ich vielleicht Jennifers Bruder die Treppe runtergeworfen hatte, bis ich daran dachte, das Jennys Bruder blond war. Dieser Mann war dunkelhaarig.
Ich hatte keine Ahnung, wie es um ihn bestellt war, aber es erschien mir zu riskant, auf der Suche nach dem Lichtschalter über ihn hinwegzusteigen. Ich ging die letzten Stufen hoch, schaltete meine Lampe ein und fand den Schalter auf dem Treppenpodest. Ein Blick nach unten genügte, um zu erkennen, dass es sich bei dem stöhnenden Koloss um Bokhof handelte.
Was machte Bokhof hier, und das auch noch im
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