Ingrid
Schlafanzug?
Die Tür von Jennifers Schlafzimmer war angelehnt. Ich drückte sie weiter auf und schaltete das Licht ein. Das Bett war zerwühlt, jemand hatte darin geschlafen – fast meinte man noch, die Kuhle erkennen zu können, die Bokhof mit seinem Gewicht hinterlassen hatte. Sein Regenmantel hing über einem Stuhl, und davor standen zwei schwere Schuhe, über die graue Wollsocken drapiert waren.
Der Anblick machte mich wütend. Ich betrachtete mich zwar nicht als Jennifers persönlichen Beschützer, aber die Vorstellung von Bokhof im Bett meiner soeben ermordeten Nachbarin rief eine Flut ekliger, nekrophiler Assoziationen in mir wach. Meine Hände zitterten, als ich die Tür hinter mir zuzog.
Bokhof schüttelte stöhnend den Kopf und versuchte aufzustehen, als ich die Treppe hinunterkam. Ich hatte nicht übel Lust, in seine rot-grünen Pyjamastreifen und sein weißes Fleisch zu treten, aber ich stieg über ihn hinweg, drehte mich um, packte ihn an den nackten Füßen und schleifte ihn hinüber auf die Fliesen. Er lag auf dem Rücken. Sein verrutschter und verdrehter Schlafanzug stand halb offen – ein obszöner Anblick. Er brummte mühsam: »He, hilf mir mal!« Er hatte einen blauen Fleck auf der Stirn, wo er auf den Rand einer Stufe geknallt sein musste, und ich sah Blut auf seinem linken Handrücken. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn er sich nichts gebrochen hatte, aber andererseits waren seine Knochen in eine dicke Fettschicht verpackt.
Ich behielt die Hände auf dem Rücken und fuhr ihn an: »Was machst du hier?«
Bokhof warf mir einen finsteren Blick zu. »Das geht dich einen Dreck an!« Er stützte sich auf seine Riesenhände und setzte sich auf. »Erzähl mir lieber, was du hier zu suchen hast!«
Mir ging völlig zusammenhanglos durch den Kopf, dass Bokhof wahrscheinlich einfach durch die Vordertür hereingekommen war, schließlich hatte er einen Schlüssel. »Ich habe Geräusche gehört, und da wollte ich nach dem Rechten sehen. Und was ich sehe, finde ich zum Kotzen!«
»Na, dann hau doch wieder ab!« Er wälzte sich auf die Seite und zog die Knie an, um aufstehen zu können.
»Nicht, bevor ich weiß, was du in Jennifers Bett getrieben hast. Zwei Tage, nachdem du ihr den Schädel eingeschlagen hast. Sogar den Kollegen von der Sitte würde schlecht werden, und die sind schon einiges gewöhnt.« Ich war mir nicht sicher, ob ich seine Antwort überhaupt hören wollte.
»Die Sitte? Jetzt spiel dich bloß nicht so auf.« Bokhof grinste höhnisch. »Das hier ist mein Heuschober.« Stöhnend zog er ein Bein an und griff nach dem Ende des Geländers, um sich hochzuziehen. »Ich kann hier machen, was ich will.«
»Nicht, solange jemand anders die Miete bezahlt«, entgegnete ich. »Nicht in den Sachen anderer Leute. Nicht in Jennifers Bett, du Hornochse. Und mach den verdammten Schlafanzug zu!«
Er stand vor mir wie ein Bulle, die Schultern nach vorn gebeugt, der Schlafanzug hing ihm locker und vorne offen unter dem Bauch.
Er hätte mich mühelos fertig machen können, außerdem war ich unbewaffnet, doch er blieb stehen, wo er war, zurrte an der Kordel seiner Schlafanzughose und sagte: »Du hast ja keine Ahnung!«
»Aber eins weiß ich ganz genau: Es wäre besser für dich, wenn du für die Nacht auf Mittwoch, den vierzehnten Juni, ein hieb- und stichfestes Alibi hättest.«
Er starrte mich an, mit Augen wie dunkle Kohlen und obszönen Lippen in seinem unrasierten Gesicht. »Du willst wohl unbedingt zusammengeschlagen werden.«
Kopfschüttelnd sagte ich: »Okay, dann erklär deine sexuellen Probleme eben der Polizei«, und machte mich auf den Weg zum Abstellraum.
»Winter!«
Irgendetwas in seiner Stimme veranlasste mich, stehen zu bleiben. »Was ist denn? Noch ein bisschen Nachbarschaftshilfe gefällig?«
Er ließ sich nicht provozieren. »Du solltest wissen, dass es nicht das ist, wonach es aussieht.« Wie er so dastand, hatte er auf einmal etwas Jämmerliches an sich, als käme hinter dem Fleisch gewordenen Bulldozer ein kleiner Schuljunge zum Vorschein, der seine kleinen Sünden und unkeuschen Gedanken so schnell wie möglich beim Kaplan beichten wollte, um wieder draußen spielen zu können. Obwohl ich feindselige Nachbarn eigentlich nicht gebrauchen konnte, gelang es mir nicht, meine Wut zu zügeln: »Du konntest einfach deine Pfoten nicht von ihr lassen, und selbst jetzt noch …« Ich schwieg, mir fiel einfach nichts mehr dazu ein.
Bokhof schüttelte den Kopf, in einem Anfall von
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