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Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Pappeln. Jenseits des Grabens erstreckten sich weit und breit Obstplantagen, niedrige Apfel- und Birnbäume, hier und dort zum Schutz gegen den Wind von hohen Erlenhecken durchzogen. Kemming ließ in einem Liegestuhl sitzend den Blick darüber schweifen. »Ein schönes Fleckchen«, sagte er bedächtig, und dann: »Ich habe mit Bart Simons von der Amsterdamer Kripo telefoniert.«
    Ich grinste. »Bart Simons war mein Partner, bis ich vor vier Jahren ausgestiegen bin.«
    Kemming nickte. Ich wusste nicht, worauf er hinauswollte und wartete einfach ab. »Er hat Sie in den höchsten Tönen gelobt.«
    »Ach, ein guter Ruf besagt wenig, außer, dass man Glück hatte und alles positiv verlaufen ist. Hart arbeiten und unseren Verstand gebrauchen tun wir doch alle. Bei den spektakulären Erfolgen spielt einem meist der Zufall in die Hände, aber das Ergebnis steht dann hinterher in der Akte.«
    Kemming sagte, ohne mich anzuschauen und ein wenig undeutlich: »Ich muss mich für die Kollegin Rekké entschuldigen.«
    Ich lachte. »Ich hätte mich genauso verhalten wie sie.«
    Sein Gesicht blieb ernst. »Ich nicht.«
    Ich trank einen Schluck Whisky und betrachtete ihn fasziniert, weil sein Ton verriet, dass er meinte, was er sagte. Ich begann zu vermuten, dass er ein durch und durch integerer Mann war, tief gläubig und nicht besonders humorvoll. Er kleidete sich wie ein Dorfschullehrer: sandfarbene Sommerhose, moosgrünes Sakko und sorgfältig geputzte, braune Schnürschuhe. Sogar seine grauen Haare waren jetzt ordentlich gekämmt, als sei die Frisur vom letzten Mal ein Versehen oder die Folge eines plötzlichen Minitornados auf dem Polderdeich gewesen. Kemming sah aufrecht aus, unbestechlich, ein Mann, der seine Arbeit mit sturer Genauigkeit erledigte, nach Vorschrift, ohne Experimente und ohne zu fluchen. Sonntags zum Gottesdienst in die reformierte Kirche. Durch und durch vertrauenswürdig.
    »Sie haben ihren Bruder ja schnell gefunden«, sagte er nach einer kurzen Stille.
    Ich hatte vergessen, Jennifers Bruder ans Herz zu legen, den Brief nicht zu erwähnen, aber vielleicht hatte Jeroen es von sich aus nicht getan. Kemming wäre gewiss weniger freundlich gewesen, wenn er gewusst hätte, dass ich anderer Leute Post öffnete. Und die Rekké würde mich wegen des Öffnens und Unterschlagens der Post eines Mordopfers in eine Zelle stecken. »Auf Bitten von Mevrouw Brack«, erklärte ich, um der Wie-kamen-Sie-auf-den-Bruder-Frage von vornherein auszuweichen. »Die Bracks möchten den Sohn gerne adoptieren, brauchen aber dafür das Einverständnis der Familie. Wie Sie wissen, verdiene ich seit meinem Abschied von der Polizei meinen Lebensunterhalt als Privatdetektiv.«
    Er nickte langsam. »Ich nehme an, dass es die auch geben muss. Jedenfalls war uns damit gedient. Ich dachte, ich berichte Ihnen mal kurz den Stand der Dinge.«
    »Bei den Ermittlungen, meinen Sie?«, fragte ich hoffnungsvoll.
    »Nun ja, zumindest das, was morgen auch die Presse erfährt«, sagte er, als wolle er von vornherein den Verdacht ausräumen, dass er aus dem Nähkästchen plaudern oder sich sonst wie ungebührlich betragen würde. »Fangen wir mit der Autopsie an. Wir haben keine Mordwaffe gefunden, aber das Loch im Schädel könnte von der runden Seite am Kopfende eines mittelschweren Brecheisens verursacht worden sein. Der Tod ist um Mitternacht eingetreten; den genauen Zeitpunkt kennen wir noch nicht.«
    »Haben Sie verdächtige Fingerabdrücke gefunden? Neben meinen, natürlich?« Ich grinste ermunternd.
    Na so was, er erwiderte mein Lächeln. »Nein, nur die von Leuten, die dort auch sonst ein und aus gingen, die vom Ehepaar Brack, von Hausbesitzer Bokhof … Wir haben auch unbekannte Abdrücke gefunden, aber Mevrouw Brack wusste zu berichten, dass der junge Versteeg bei Ihrer Nachbarin zum Kaffeetrinken war. Ich meine Rob Versteeg, dessen Vater die Autowerkstatt kurz hinter der Brücke betreibt. Und sie stammten in der Tat von ihm.«
    »Aber Rob wird nicht verdächtigt?«
    »Nein.« Er schaute mich mit einem Anflug von Schalkhaftigkeit an. »Erstens ist er ein unbescholtener junger Mann aus dem Dorf, und zweitens hat er ein wasserdichtes Alibi.«
    Ich erwiderte sein Lächeln.
    »Gut«, fuhr Kemming fort. »Nun ja, das ist ungefähr das, was der Presse bekannt gegeben wird, außer der Geschichte mit Rob Versteeg, die tut ja nichts zur Sache.«
    »Das finde ich auch«, stimmte ich zu, um ihn am Reden zu halten, doch er trank schweigend von seinem Pils.

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