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Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Niederländisch als Türkisch.
    CyberNel hielt ihre Lampe auf den Holzzaun gerichtet, um niemanden zu blenden. Im Widerschein konnte ich Gürbüz’ Gesicht nicht deutlich erkennen, aber ich roch seine Angst.
    Ich stieß ihn mit der Schuhspitze an. »Was soll der Blödsinn?«
    »Du kannst mich mal?« Es klang wie eine Frage.
    »Muss ich wie ein junger Streifenpolizist durch Häuser rennen und von Balkonen springen, nur um dich in die Finger zu kriegen?«
    Er hörte mir gar nicht zu. Seine Stimme klang eine halbe Oktave zu hoch. »Mann, tu schon, was du tun musst, und fertig.«
    Ich hatte damit gerechnet, dass er abhauen würde, aber mich als eine Art Terminator zu betrachten, erschien mir übertrieben. Ich schaute Nel an, die auch nicht besonders viel sah. »Gürbüz glaubt, ich wolle ihn umbringen.«
    »Was denn sonst?«, ächzte der Türke.
    Er versuchte förmlich, zwischen die Pflastersteine zu kriechen, als ich mich über ihn beugte. »Steh auf.«
    Nel half, den Mann hochzuziehen, obwohl der sich heftig wehrte. »Lass mich gehen, Mann, ich habe dir von Anfang an gesagt, dass es ein Unfall war, ich hab mich zu Tode erschrocken, das war alles. Ich habe noch nie in meinem Leben auf jemanden geschossen.«
    Ich zog sein Gesicht dicht vor meines und sagte: »Ich will mich gar nicht rächen, du Penner, ich will mich nur mit dir unterhalten!«
    Gürbüz schaute in der Dunkelheit von mir zu CyberNel. »Warum hast du dann nicht einfach geklingelt?«
    »Habe ich doch«, sagte ich.
    Er verdrehte die Augen und seufzte. »Scheißbullen.«
    Ich drückte gegen die Pforte, doch der Hafenarbeiter hatte sie wieder verriegelt. Womöglich stand er aber noch dahinter, um seine rassistischen Vorurteile bestätigt zu sehen. Wir nahmen Gürbüz zwischen uns und brachten ihn aus der Gasse heraus zu meinem Auto. Er benahm sich wie ein Lamm, das man zur Schlachtbank führt. Er schwitzte unaufhörlich. Ich wusste, was ihm durch den Kopf spukte: Ich konnte ja behaupten, was ich wollte, aber für ihn sah es so aus, dass ich ruhig abgewartet hatte, bis er wieder auf freiem Fuß war, um ihn für die Kugel bluten zu lassen, die meiner Karriere bei der Polizei ein Ende bereitet hatte. Natürlich würde ich das nicht in der erstbesten Gasse tun und das auch noch unter Zeugen; eine Autofahrt an einen verlassenen Ort war die klassische Lösung, an die er automatisch dachte.
    Wir verfrachteten Gürbüz auf den Rücksitz. Ich setzte mich neben ihn, Nel schloss die Tür und hielt draußen Wache.
    »Komm her, ich mach dich los«, sagte ich.
    Er hielt die Handgelenke in meine Richtung, und ich schloss ihm im Dunkeln tastend die Handschellen auf. Er rieb seine Gelenke und schielte auf den Rücken CyberNels, die das Fenster abschirmte. »Und jetzt?«, fragte er unsicher.
    »Du hast deine Strafe abgesessen, und ich bin so friedfertig wie der heilige Franziskus. Du sollst mir nur einen Gefallen tun.«
    Das Gesicht zum Fenster gewandt, runzelte er die Stirn. Mohammed sagte ihm wahrscheinlich mehr als der italienische Vogelfreund, doch er wusste, worauf ich hinauswollte. »Ich verpfeife niemanden bei der Polizei.«
    »Ich bin nicht mehr bei der Polizei.«
    Er presste seinen Rücken an die Tür, um mich besser betrachten zu können. »Was machst du dann mit Handschellen und einem Brigadier?«
    »Das geht dich einen Dreck an. Du schuldest mir einen Gefallen, und den fordere ich jetzt ein. Wenn nicht, verpasse ich dir eine Kugel, sodass du mindestens ein halbes Jahr im Krankenhaus liegst. Ich finde dich überall.«
    Leute wie Gürbüz waren es gewöhnt, zunächst zu verhandeln, bevor man die Katze aus dem Sack ließ. Er sagte nichts, wie es sich gehörte.
    »Du hast für den dicken Schauker gearbeitet, stimmt’s?«
    »Der sitzt in Bijlmermeer im Knast.«
    »Hast du dort mit ihm gesprochen?«
    Gürbüz schüttelte den Kopf. »Ich hab nichts mit dem zu tun.«
    »Der Mann, den ich suche, heißt Harry die Rübe.«
    »Kenn ich nicht.«
    Ich schwieg. Etwas unter der Motorhaube kühlte ab, mit leisem Ticken, wie eine Zeitbombe. Draußen war es dunkel. Ganz Amsterdam saß auf dem Leidseplein, und hier kam nur ein einziges Auto vorbei, das seine Geschwindigkeit kurz verringerte, als die Scheinwerfer über CyberNel hinweg glitten.
    Ich folgte dem Auto mit den Blicken und sagte: »Ich habe nicht viel Zeit, um halb elf muss ich noch zu einem anderen Termin. Du warst in der Autobranche und hast für Richard Schauker gearbeitet, und du warst da, als er in den Knast gewandert

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