Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
Vom Netzwerk:
höchstens dann effektiv war, wenn man direkt vor seinem Zielobjekt stand. »Hat der befreundete Brigadier dir denn auch einen Waffenschein dazu besorgt?«
    Nel verbarg die Waffe unter ihrer schwarzen Jeansjacke. »Ist noch in Arbeit.« Sie schlüpfte aus dem Auto und verschwand wie eine Katze in der dunklen Gasse. Ich schloss den BMW mit der Fernbedienung ab und machte mich auf den Weg zu Haus Nummer 18. Die Memory Lane war eine zwielichtige Straße weit hinter dem Leidseplein, vollgeparkt mit Autos. Es war einige Jahre her, da hatte ich diese Tür eingetreten, und Bart Simons stand anstelle von CyberNel in der Hintergasse. Wer weiß, vielleicht beging ich denselben Fehler noch einmal und würde wie damals eine Kugel in die Magengegend kriegen, die hinter einem Riesenberg Kokain hervor auf mich abgefeuert wurde. Damals waren schlampige Ermittlungen, fehlende Rückendeckung und vor allem meine an Todesverachtung grenzende Gleichgültigkeit daran schuld gewesen.
    Vergangenheit.
    Diesmal waren die Recherchen gründlicher gewesen, hoffte ich. Nel hatte entdeckt, das Gürbüz wieder auf freiem Fuß war, sich aber bedeckt hielt. Damals hatte man ihn zu einer schweren Strafe verknackt, und zwar nicht nur wegen des Koksberges in seinem Haus, sondern vor allem wegen der Schüsse auf einen Polizisten, der mit einem Haftbefehl für ein Vergehen hineingestürmt war, das gar nichts mit Drogen zu tun hatte, nämlich Menschenschmuggel.
    Diesmal trat ich die Tür nicht ein, sondern schellte ganz einfach. Vom oberen Fenster aus konnte mich Gürbüz nicht sehen – einer der Nachteile, wenn man im ersten Stock über einem Eingangsportal wohnt. Ich hörte ein Klicken und stieß die Tür auf. Der obere Flur war nur schwach erleuchtet, aber ich erkannte ihn sofort, oben an der Treppe, die Hand am Kordelzug, mit dem sich die Tür öffnen ließ. Als ich begann, die Stufen hinaufzusteigen, richtete er eine Lampe auf mich. Er fluchte und warf einen Stuhl nach mir.
    Ich sprang an die Wand, um dem Stuhl auszuweichen, der schmerzhaft an meinen erhobenen Händen und Handgelenken entlangschrammte und mit viel Getöse unten an der Treppe in Stücke krachte. Ich schrie: »Gürbüz, verdammt noch mal, jetzt mach doch mal halblang!«, doch seine Schritte dröhnten schon über den Holzfußboden des Hausflurs, und irgendwo knallte eine Tür.
    Ich rannte die Treppe hinauf und den Flur entlang, durch eine enge Küche mit einer halb verglasten Tür hindurch, die zu einem kleinen, mit Gerümpel vollgestellten Balkon führte. Ich hörte Lärm, wobei ich nicht feststellen konnte, ob er von der unsichtbaren Rückseite des Gartenschuppens oder aus der schmalen Gasse kam. Irgendjemand stieß einen Schmerzensschrei aus, und direkt unter mir wurde eine Außenlampe eingeschaltet. Ein Mann kam aus seiner Hintertür heraus, schwenkte einen Knüppel und brüllte: »Will hier vielleicht jemand eine Tracht Prügel?«
    Ich wartete einen Moment, bevor ich über das Balkongeländer kletterte. Ich fühlte mich wie schon hundert Mal zuvor, in einem früheren Leben oder einer anderen Dimension, in die ich nicht mehr hineingehörte. »Polizei!«, rief ich. »Und Sie gehen wieder rein, okay?«
    Der Knüppelschwenker hob mit einem Ruck den Kopf. Er ging nicht rein. Ich sah den hin- und herzuckenden Lichtkegel von Nels Lampe in der Gasse und rief: »Alles in Ordnung, Brigadier?«
    »Jawoll, Inspecteur!«, rief Nel zurück, als spiele sie eine Rolle in einem drittklassigen Krimi.
    Ich schwang mich über das Geländer, sprang auf das Dach des Schuppens und kletterte hinunter auf den kleinen Hof. Der Nachbar von unten ließ seinen Knüppel schlagbereit auf der Schulter seines weißen Hemdes ruhen. Er gehörte zu der Sorte von Cholerikern, die hin und wieder eine Kneipe auseinander nehmen. Ich verschwendete eine halbe Minute darauf, ihn mit ein paar Polizeiphrasen zu beruhigen. »Stecken Sie den verdammten Türken ruhig in den Knast«, sagte er und schloss die Pforte zur Gasse für mich auf.
    Gürbüz lag mit den Händen auf dem Rücken gefesselt auf dem Pflaster. CyberNel winkte mit ihrer Kinderpistole. Gürbüz war ein muskulöser Mann um die Vierzig, mit olivfarbenem Gesicht, in der Mitte zusammengewachsenen Augenbrauen, einer Boxernase und dem Verstand eines Boxers, der einen Kampf zu viel hinter sich hat. Durch das faule Leben im Gefängnis hatte er sich an die fünfzehn Kilo Übergewicht angefuttert. Er gehörte zur zweiten Einwanderergeneration und sprach besser

Weitere Kostenlose Bücher