Ingrid
Mutter vor seiner Nase ermordet wird …«
»Aber davon hat er gar nichts mitgekriegt, er war in seinem Bettchen und die Zimmertür war abgeschlossen.«
Ich sah, dass Nel wütend wurde, und fragte: »Wie reagiert Tommy, wenn er hier vorbeikommt?«
»Ich meine damit, dass Ihre Frau nicht seine Mutter ist und Ihr Haus nicht sein Zuhause«, fügte CyberNel trotzdem noch hinzu.
Peter wandte sich erleichtert mir zu. »Wir versuchen, ihn vom Heuschober fern zu halten, aber das wird auf die Dauer natürlich schwierig. Wir denken sogar daran, unser Haus zu verkaufen und woandershin zu ziehen.«
»Das ist bestimmt keine schlechte Idee«, musste ich zugeben. »Aber ihr habt doch so ein schönes Haus, es ist die Frage, ob ihr nochmal etwas Entsprechendes findet.«
»Na ja …« Peter schwieg und lächelte wieder so zögerlich und schief, dass er dadurch noch ältlicher wirkte. Er sah müde und apathisch aus, wie ein Hund, der kurz davor ist, aufzugeben und sich auf den Rücken zu legen, weil er zu lange gejagt wurde. »Es geht um Ingrid, verstehst du«, sagte er. »Wenn Tommy sie glücklich macht …«
Er winkte und machte sich auf den Weg. Ich hörte die Autotür zuschlagen und den Motor anspringen, wobei er mehr Gas gab als nötig.
CyberNel schaute mich forschend an. »Ingrid, Ingrid. Was ist nur so Besonderes an diesem Weib?«
Ich gab mir größte Mühe, nicht zu erröten. Irgendetwas in meinem Gehirn fing an zu nörgeln, ich kam nur nicht darauf, was es war.
Nel wollte nicht im Gästezimmer unten am Deich übernachten, es war ihr zu laut. Sie dachte sich öfter solche komischen Ausreden aus, etwa, dass wir gemeinsam in einem Hotelzimmer übernachten müssten, weil die Heizung nicht funktionierte und sie sonst frieren würde. Sie wollte einfach gerne bei mir schlafen, und ich freute mich darüber, aber sie kam eben aus einem sittsamen Groninger Dorf, wo ihr Vater eine Fahrradwerkstatt betrieb und ihre Mutter im Kirchenchor sang. Ich hatte mir überlegt, – dass sie vielleicht deswegen diese Vorwände brauchte, um manchen Dingen im Leben einen Schein von Unvermeidbarkeit zu verleihen, Dingen, die sie eigentlich unpassend fand, etwa eine Scheidung oder mit einem Mann zu schlafen, mit dem sie nicht verheiratet war, und sie damit zu rechtfertigen. So dachte sie natürlich nicht bewusst; sie reagierte einfach unbewusst auf die tief verborgenen Reste des calvinistischen Erbes in ihr.
Nel war mehr, als ich verdiente.
Manchmal dachte ich, dass ich es offiziell machen sollte. Bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten, wie sie manchmal spöttisch forderte. Das ging schon seit ein paar Monaten so, im Grunde, seit sie nach einem Aufenthalt bei ihren Eltern in Feerweerd zurückgekommen war, wo sie versucht hatte, sich von dem Schlag mit ihrem verwüsteten Dachatelier zu erholen.
Mir war aufgefallen, dass sie nicht mehr so gut alleine sein konnte. Früher hatte sie damit nie Probleme gehabt. Vielleicht reichte es ihr schon zu wissen, dass jemand da war. Das mit dem älteren Flügelheini in Amsterdam war natürlich Unsinn, das brauchte sie mir nicht zu erklären. Es ging um Ernsthafteres, und ich dachte mit Gewissensbissen daran, dass Nel mehr und Besseres verdient hatte als nur die Zuneigung eines Freundes, der es gut mit ihr meinte und gerne mit ihr schlief. Sie verdiente es, umsorgt und geliebt zu werden.
Langsam fielen die ersten Sonnenstrahlen durch die niedrigen Fenster des Schlafzimmers über der Küche. Nel hatte, was den Lärm anging, Recht gehabt: Im Gästezimmer kam es einem vor, als würden die Autos direkt neben dem Bett vorbeifahren, während es auf dieser Seite herrlich ruhig war. Man hörte durch das offene Fenster die Vögel zwitschern und in der Ferne das Brummen des Verkehrs auf der Landstraße, nicht lauter als das einer Fliege, die versucht, herauszukommen, und die Sache mit dem Glas nicht begreift.
Sie lag auf dem Bauch, das Gesicht von mir abgewandt. Sie hatte einen schönen Körper, weiße Schultern, den zierlichen Rücken einer Ballerina. Ich hob die Bettdecke hoch, um ihren Po zu betrachten. Sie schlief tief und fest, völlig entspannt, hier fühlte sie sich sicher. Möglicherweise schlief sie in Amsterdam schlecht, unruhig, gequält von der Erinnerung an einen Mann, der sie bewusstlos schlug, ihre Rippen als Trittleiter missbrauchte und ihre Dachwohnung mit einer Brandbombe verwüstete.
Ich ließ die Bettdecke los, schob meinen Arm unter ihren Kopf und rollte sie mit dem Rücken an mich. Meinen
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