Ingrid
anderen Arm schlang ich um sie und legte die Hand auf ihre linke Brust. Sie ließ mich gewähren, bewegte sich kaum. So schliefen wir noch ein Weilchen.
12
Manchmal kommt es vor, dass man sich tage- und wochenlang mit Routineermittlungen herumschlägt und sich das Gehirn zermartert, ohne die geringsten Fortschritte zu machen, und dann kommt plötzlich ein Tag, an dem man im Grunde nichts tut und trotzdem allerlei Puzzlesteinchen wie von höherer Hand an den richtigen Platz gerückt werden. Sie fallen einem regelrecht in den Schoß.
Wir hatten schon beim Frühstück beschlossen, einen Urlaubstag einzulegen, an dessen Ende wir mit meinem wackligen Ruderboot zu dem Restaurant am Wasser fahren wollten.
Wir spazierten ins Dorf, erledigten ein paar Einkäufe und tranken Kaffee auf einer Terrasse des Lokals in der Voorstraat. Nel blieb dort mit der Zeitung sitzen, während ich zur Bank nebenan ging, um meine neue EC-Karte abzuholen.
Anita stand in einem der kleinen runden Bollwerke, die wohl die praktische Umsetzung neuester Erkenntnisse zum Thema diskrete und kundenfreundliche Bankeninterieurs darstellten.
Ich unterzeichnete die Empfangsquittung für die neue Karte und fragte, wie es mit dem Baby aussehe. Sie erzählte errötend, sie sei im vierten Monat schwanger und sie und ihr Freund würden demnächst heiraten.
»Glückwunsch!«
Sie schnitt meine alte Karte sorgfältig entzwei. »Hat die Polizei Sie sehr belästigt?«
»Die Polizei?«
Sie machte ein verlegenes Gesicht. »Im Dorf hat man sich erzählt, dass Sie die Mutter des kleinen Jungen gefunden hätten und man anfangs auch Sie verdächtigte.«
»Die Polizei verdächtigt jeden, das ist reine Routine.«
»Mir hat es so Leid getan«, sagte sie dann. »An dem Abend auf der Party habe ich ihr noch Cola-Rum serviert und so bei mir gedacht, dass sie ein bisschen über den Durst trank.« Anita beugte sich zu mir hinüber: »Über Bokhof wird ziemlich viel geklatscht, wissen Sie. Er war doch auch auf der Party. Und dass er sie öfter belästigt hat …«
»Die Leute sollten sich ihren Klatsch sparen, bis der wahre Täter gefunden ist.«
Anita nickte zustimmend. »Wollen die Bracks den Jungen adoptieren?«
»Soweit ich weiß, haben sie das vor. Lassen Sie nur, die Hülle brauche ich nicht, ich stecke sie so in die Brieftasche.«
Ich schob die neue Karte an ihren Platz und steckte meine Brieftasche ein. Anita sagte: »Ich glaube, sie kann keine eigenen Kinder bekommen.«
»Dann wird sie sich ja über Tommy freuen.«
Ich wandte mich schon zum Gehen, aber dann sagte sie: »Das erinnert mich an eine Geschichte in so einem Groschenroman …«
»Die Wirklichkeit ist manchmal bizarrer als der verrückteste Groschenroman.«
Sie schüttelte ein wenig verlegen den Kopf. »Nein, ich meine einen echten Roman. Mein Freund hat ihn mir geschenkt, weil er Anitas Prinz heißt. Er hat ihn im Supermarkt gekauft. Nur, dass der Prinz in dem Buch kein richtiger Prinz, sondern ein Baby ist. Diese Anita konnte keine Kinder bekommen und sie konnten auch keines adoptieren. Ihr Mann liebte sie so sehr, dass er nach Schottland fuhr, irgendwo auf dem Land eine allein stehende Mutter ermordete und ihr Baby entführte.« Anita lächelte bitter. »Eine ziemlich abartige Liebe, finden Sie nicht?«
Nel stand auf der anderen Straßenseite vor dem Schaufenster eines Immobilienmaklers. Ich ging zu ihr hinüber.
»Nel?«
Sie wies mit einem Nicken auf das Fenster. »Ist das nicht das Haus von Peter Brack?«
Ich runzelte die Stirn. Das Haus am Polderdeich war vom Wasser aus fotografiert worden. Man sah einen blühenden Apfelbaum, die verglaste Rückseite und die Terrasse, auf der ich mit Ingrid getanzt hatte und wo Bokhof seine Pfoten nicht bei sich hatte behalten können.
»Das ging ja fix«, sagte CyberNel. »Referenznummer drei zwölf.«
Wir traten ein.
Ein selbstbewusster junger Mann setzte sein Verkäuferlächeln auf. Das junge Paar plante, sich in dieser Gegend niederzulassen. Das Objekt mit der Referenznummer drei zwölf vielleicht? Er schlug den Ordner auf.
»Es handelt sich um ein recht teures Objekt«, bemerkte der junge Mann nach einem besorgten Blick auf das junge Paar.
»Gibt es da Ihrerseits Bedenken?«, fragte Nel eisig.
»Nein, nein, ich meine …« Der junge Mann wurde nervös und errötete.
»Wahrscheinlich hängt es erst sei ganz kurzer Zeit im Schaufenster«, sagte ich. »Sonst gäbe es doch bestimmt schon Interessenten?«
»Ja, da haben Sie Recht«,
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