Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
sollte, dann mußte er es schon selbst tun, so unfähig er auch sein mochte.
Merkwürdigerweise verlieh ihm diese Erkenntnis neue Kraft.
Zwar würde er wahrscheinlich scheitern, aber er würde es wenigstens versuchen. Er wußte nicht,
was er tun würde oder konnte oder sollte, aber er hoffte, daß er es auf richtige Weise tun würde,
wenn sich die Gelegenheit dazu bot.
Zane war versucht, die Werbeplakate Satans einfach mit dem Todesmobil umzufahren, doch er
beherrschte sich. Dies war ein freier Kosmos. Satan hatte ein Recht darauf, Reklame zu machen.
Anständige Leute mußten es den unanständigen Leuten erlauben, so zu handeln, wie sie wollten. Das
war das Paradox der Anständigkeit.
Ob es die Sache wert war?
Er machte weiter mit seiner Routinearbeit. Es tauchten noch einige weitere Fälle auf, die seine
Entscheidung zuließen, so daß es ihm möglich war, Klienten zu verschonen. Er wußte immer noch
nicht genau, ob das eigentlich rechtens und mit seinen Dienstvorschriften vereinbar war, aber die
Nachrichten im Fegefeuerfernsehen machten daraus nicht viel mehr als die übliche
klatschkolummnenhafte Meldung im Stil von »Seht mal, was der böse Junge jetzt schon wieder
angestellt hat!«
Also ging er davon aus, daß die Sache vielleicht als schlechter Stil gelten mochte, daß es aber
zu seinen Privilegien gehörte, so zu handeln, Seelen zu nehmen oder nicht zu nehmen, und zwar zu
jeder Zeit. Es war zwar möglich, daß die eine oder andere der Seelen, die es vielleicht mit Mühe
und Not jetzt noch, bei planmäßiger Abholung, in den Himmel geschafft hätte, später vielleicht
doch noch degenerierte und in der Hölle landete, doch den umgekehrten Fall hielt er für
wahrscheinlicher. Welcher Mensch würde sich, nachdem er mit der Erscheinung des Todes
konfrontiert worden war, nicht beeilen, seinen Lebenswandel wenigstens teilweise umzustellen? Wer
so närrisch war, eine solche Warnung in den Wind zu schlagen und in die Hölle hinabzufahren,
hatte sein Schicksal wahrscheinlich wirklich verdient.
Dennoch wurde Zanes unterschwellige Unzufriedenheit durch ein Ereignis verstärkt, das wie ein
ganz normaler Routinefall begann. Es war ein Junge von vielleicht fünfzehn Jahren, das Opfer
einer sehr seltenen Krebsart. Er lag einigermaßen bequem zu Hause im Bett, was zum größten Teil
den starken Medikamenten und einem Optimismuszauber zu verdanken war. Als Zane eintrat, blickte
er überrascht auf.
»Ich habe Sie noch nie gesehen, obwohl Sie mir irgendwie bekannt vorkommen«, sagte der Junge.
»Sind Sie Arzt?«
»Nicht direkt«, erwiderte Zane. Er merkte, daß der Junge ihn nicht erkannte. Er war sich
unsicher, ob er ihn aufklären sollte.
»Dann sind Sie vielleicht ein Psychologe, der mich aufheitern soll?«
»Nein, nur jemand, der dich auf eine Reise mitnehmen wird.«
»Oh, ein Chauffeur! Aber mir ist nicht danach, wieder um den Park zu fahren.«
»Diese Reise dauert länger.«
»Können Sie sich nicht einfach ein bißchen setzen und sich eine Weile mit mir unterhalten? Ich
fühle mich manchmal ein wenig einsam.« Der Junge fuhr sich mit den Fingern durch sein zerzaustes
blondes Haar, wie um die Einsamkeit aus seinem Kopf zu fegen.
Zane setzte sich auf die Bettkante. Seine Uhr zeigte noch fünfzehn Sekunden an; er fror sie dort
ein. Dieser Junge lag im Sterben - gab es denn niemanden, der ihm dabei Gesellschaft leisten
wollte? Wahrscheinlich weil seine Familie und seine Freunde wußten, was das Opfer nicht wußte.
Das war eine der ironischen Grausamkeiten dieser Situation.
»Ich werde mich mit dir unterhalten.«
Der Junge lächelte dankbar. »Ach, ich bin ja so froh! Sie werden mein Freund sein, das weiß ich.«
Er streckte mit einiger Mühe die Hand vor, denn er war sehr schwach. »Wie geht es Ihnen? Ich bin
Tad.«
Zane nahm vorsichtig die Hand des Jungen. »Freut mich, Tad. Ich bin...« Er hielt inne. Der Junge
wußte nicht, daß er sterben würde. Was für eine Barmherzigkeit wäre es gewesen, es ihm jetzt zu
sagen? Und doch wäre es Lüge gewesen, ihm diese Information zu verheimlichen. Was sollte Zane
tun?
Tad lächelte. »Sie haben es vergessen? Oder sind Sie hier, um mir eine Spritze zu geben, und
haben Angst, daß ich schreie?«
»Keine Spritze!« erwiderte Zane hastig.
»Dann lassen Sie mich raten. Sind Sie ein Rechnungseintreiber? Dafür ist mein Paps zuständig. Ich
schätze, diese Glücksgefühlzauber kosten ihn eine ganze Menge, aber ich finde nicht, daß sie es
wert sind,
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