Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
Butler. »Soll ich auch die Post mitnehmen, Sir?«
»Die Post? Wozu denn?«
»Um sie zu vernichten, Sir, wie es der üblichen Verfahrensweise entspricht.«
Zane preßte abwehrend die Briefe an seine Brust. »Auf gar keinen Fall! Es ist mir egal, wenn es
alles nur Mist sein sollte, ich werde sie mir jedenfalls vorher anschauen.«
»Natürlich, Sir«, sagte der Butler geschmeidig, als würde er ein Kind beruhigen. Als der Mann
fortging, leuchtete vor Zane der Fernseher auf.
»Zwei Änderungen im Fegefeuerpersonal«, sagte der unscheinbare Nachrichtensprecher. »Das Amt des
Todes hat einen neuen Inhaber. Der frühere Tod hat, nachdem er seine Aufgabe zufriedenstellend
erledigte, seine eigene Seelenbilanz aufbessern können und ist in den Himmel gelangt. Der Tod ist
tot - es lebe der Tod! Die Politik seines Nachfolgers ist bisher noch unklar; er hinkt hinter dem
Zeitplan her, hat zwei Klienten die Flucht gestattet und verärgert das Personal seines Hauses,
indem er kleinkarierte Änderungen der üblichen Haushaltsroutine verlangt. Ein nicht näher
genannter, hochstehender Beobachter äußerte sich dahingehend, daß mit einer Mängelrüge zu rechnen
sei, wenn sich die Verhältnisse nicht bald bessern.«
Zane stieß einen Pfiff aus. Die Fegefeuernachrichten waren aber wirklich äußerst aktuell und
genau!
»Das Personal ist durch einen Säugling erweitert worden«, fuhr der Sprecher fort. »Er wird als
Aktenverwalter ausgebildet werden, sobald er erkenntnisfähig geworden ist. Natürlich wird ihm
gestattet werden, sich das Alter auszusuchen, das er in Ewigkeit innehaben will. Dieser
Personalzuwachs wird dazu beitragen, den Verarbeitungsstau zu beheben, der durch die wachsende
Zahl zu verarbeitender Klienten entstand. Ursache für diesen Stau ist das allgemeine menschliche
Bevölkerungswachstum.«
Langsam wurde Zane mißtrauisch. Warum hingen diese Nachrichten so eng mit seinen eigenen Aufgaben
zusammen?
Der Butler erschien wieder und stellte ein Glas Rotwein vor ihm ab. »Der Zauber gehört zum
Rezept, Sir.«
»Warum stehen die Nachrichten in einem solch engen Zusammenhang mit meinen Interessen?« wollte
Zane wissen.
»Das kann doch nicht Zufall sein.«
»Dies ist das Fegefeuer, Sir. Es gibt keinen Zufall. Alle Nachrichten hängen mit dem Zuschauer
zusammen.«
»Fegefeuer? Ich dachte, das wäre der Gebäudekomplex gegenüber?«
»Dieses ganze Gebiet, Sir. Das große Gebäude ist lediglich das Verwaltungs- und
Überprüfungszentrum. Alle, die wir uns in der nicht greifbaren Zone des Fegefeuers befinden, sind
verlorene Seelen.«
»Aber ich bin doch auch hier, und dabei bin ich nicht einmal tot!«
»Nein, Sir. Sie fünf sind es nicht, technisch gesehen. Wir anderen jedoch schon.«
»Fünf? Wer?«
»Die Inkarnationen, Sir.«
»Ach so. Sie meinen den Tod, die Zeit, das Schicksal...«
»Den Krieg und die Natur, Sir«, beendete der Butler seinen Satz. »Das sind die lebenden Bewohner
der Ewigkeit. Alle anderen sind tot, ausgenommen natürlich die Ewigen.«
»Die Ewigen?«
»Gott und Satan, Sir. Die unterliegen nicht den gewöhnlichen Regeln.«
Zane trank von dem Wein. Er schmeckte ausgezeichnet und schien tatsächlich belebend zu wirken.
»Ich verstehe. Sie selbst sind also auch tot?«
»Jawohl, Sir. Ich wurde von Ihrem vorvorigen Vorgänger geholt. Ich diene hier seit zweiundsiebzig
Erdenjahren.«
»Also sehen Sie die Tode kommen und gehen, ungefähr alle dreißig Jahre oder so! Wird Ihnen das
nicht langweilig?«
»Es ist jedenfalls besser als die Hölle, Sir.«
Da war etwas dran. Alles war besser als die Hölle!
»Vielleicht sollten Sie mich lieber mal dem restlichen Personal vorstellen. Ich nehme doch an,
daß ein Haus dieser Größe über mehrere Angestellte verfügt?«
»So ist es, Sir. Wen wünschen Sie zuerst zu sehen?«
»Wen gibt es denn alles?«
»Den Gärtner, die Köchin, die Zofen, die Konkubine...«
»Die was?«
»Die Lebenden haben schließlich Bedürfnisse, Sir«, erinnerte ihn der Butler taktvoll.
»Und diese Bedürfnisse können von den Toten befriedigt werden?«
»Zweifellos, Sir.«
Zane schüttelte angewidert den Kopf. Er leerte sein Glas.
»Ich habe es mir anders überlegt. Ich werde das Personal ein anderes Mal begrüßen. Ich bin
sicher, daß meine Klienten langsam schon Schlange stehen, unten auf der Erde.«
»Gewiß, Sir«, stimmte der Butler zu, als Zane sich erhob, und eilte hinaus, um seine
Arbeitsausrüstung zu holen. Wenige Augenblicke später war Zane wieder in Uniform
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